Die Illusion einer heilen Welt
LESEPROBE / JUGENDSTIL IN SALZBURG
27/09/13 Die in Salzburg tätige Kunsthistorikerin Jana Breuste hat sich in Stadt und Land Salzburg auf die Suche nach dem Jugendstil begeben. Ein weniger beachteter, aber für die Zeit auch in Salzburg typischer Aspekt der Jugendstil-Epoche sind die Bauten im Sinn der Heimatschutzbewegung. – Eine Leseprobe aus dem im Verlag müry salzmann erschienenen Buch.
Von Jana Breuste
Auch die Hinwendung zu den anonymen Merkmalen der regionalen Baukultur im Rahmen der Heimatschutzbewegung hatte ihren Anteil an der Stilwende um 1900. Diese gehörten zum erweiterten Formenrepertoire der Architekturentwicklung und sind von fast allen Wiener Secessionisten bei geeigneten Bauaufgaben angewandt worden.
Die Heimatschutzbewegung wandte sich als gesamteuropäisches Phänomen wie der Jugendstil gegen den großstädtischen Historismus mit seiner Nivellierung und Verdrängung traditioneller, ortsgebundener Bauweisen. Indem sich ihre Zivilisationskritik gegen die Folgen der Industrialisierung wie Landflucht, Verstädterung und die Zerstörung der Kulturlandschaft durch das Verkehrswesen richtete, entwickelte sie bereits vorausweisende Ideen des Natur- und Umweltschutzes und eine dem Purismus des Werkbundes nahestehende Architekturauffassung. Gemeinsam mit diesem bildete die Heimatschutzbewegung die wichtigste und einflussreichste Reformbewegung auf den Gebieten der Architektur und des Städtebaus. Bis zu ihrer Erforschung ab den 1970er Jahren wurde sie allerdings unter dem Aspekt der späteren Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten als antimodern abqualifiziert.
Wie die Arts and Crafts-Bewegung strebten die Heimatschützer eine Wiederbelebung heimatlicher Handwerkskunst und Architektur aus der eigenen vorindustriellen Vergangenheit an. Ein Vorläufer war der 1901 in Deutschland gegründete „Dürerbund“, der sich mit der Zeitschrift „Der Kunstwart“ bereits für Heimat- und Naturschutz und das Wiederauflebenlassen alter Traditionen einsetzte. Der Architekt und Kunsttheoretiker Paul Schultze-Naumburg stellte darin Beispiele guter und schlechter Architektur gegenüber. Gemeinsam mit dem Gründer der Heimatschutzbewegung, Ernst Rudorff, rief er 1904 den „Bund Heimatschutz“ als deutschen Reichsverband ins Leben.
Neben den Aufgabenbereichen der Denkmalpflege und des Schutzes von Natur, Geologie und Volkskunst lag das Hauptgewicht bald bei Architektur und Bauwesen. Wenig später hatte sogar die Legislative den Heimatschutz als Staatsaufgabe anerkannt, indem sie 1907 das preußische Gesetz gegen die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes verabschiedete. Österreich folgte dem deutschen Beispiel erst später. Nach der Gründung von Landesvereinen in Tirol (1907) und Salzburg (1911) entstand 1912 der Verband österreichischer Heimatschutzvereine. Es kam hier allerdings nicht zur gesetzlichen Untermauerung und inhaltlichen Vereinheitlichung einzelner Vorgehensweisen.
Der Heimatschutz verband sich – auch personell – mit dem Denkmalschutz, was sich in der Teilnehmerliste der ersten „Gemeinsamen Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz“ dokumentiert, die 1911 in Salzburg stattfand.
In Maßstäblichkeit, Proportion und Material orientierte sich die Heimatschutzbewegung überwiegend an älteren Vorbildern. Neu war die weitgehende Flächigkeit und Dekorationslosigkeit der Wände. Vielgestaltige Grund- und Aufriss- sowie Dachformen wurden in Anlehnung an gewachsene bauliche Strukturen entwickelt und lokale Baumaterialien verschiedener Oberflächen und Farben eingebunden. Mittels Fachwerk, Fensterläden, Blumenkästen, Figurennischen, Spalieren oder Kruzifixen fanden ländlich-bäuerliche Motive Eingang in ihre Architektur.
Zwar setzte der Heimatschutz durch das Propagieren landschaftlichen Bauens Maßstäbe, durch Rückgriffe auf gesellschaftliche, architektonische und städtebauliche Leitbilder wie Familie, Dorf und Eigenheim schuf er aber die Illusion einer heilen Welt, die im krassen Gegensatz zur Lebenswirklichkeit der städtischen Massen stand. Wie beim Jugendstil wurde eine Verbesserung der Lebensbedingungen primär über eine Formwandlung zu erreichen versucht. Der Begriff der „rückwärtsgewandten Fortschrittlichkeit“ kennzeichnet diese Ambivalenzen und Spannungen.