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Jakob, Romeo und Julia

LESEPROBE / JAKOB – (M)EIN LEBEN MIT DOWN-SYNDROM

19/04/12 Nicht wenige  Salzburger Theaterbesucher werden Jakob schon auf der Bühne gesehen haben. Er ist Mitglied der „Blauen Hunde“ von Wolf Junger. – In dem Buch „Jakob – (m)ein Leben mit Down-Syndrom“ erzählt Schwester Clara über den jungen Mann und seine „Geschichte einer etwas anderen Leidenschaft“.

Von Clara Toth

Mein Bruder liebt Musicals. Er tanzt, singt und agiert mit großer Leidenschaft. Und da Jakob auf einem Ohr taub ist und auf dem anderen auch nur ungefähr dreiviertel gut hört, geschieht das natürlich in dementsprechender Lautstärke und nicht zu unterschätzender Intensität.

Ein paar Mal im Jahr fährt er dann nach Wien zu einer Freundin meiner Mutter, die wir als Tante Lisi in die Familie adoptiert haben, um ins Raimundtheater und anschließend ins Beisl Bier trinken zu gehen. Wieder zu Hause angekommen wird jegliche Freizeit nun dafür genutzt, sich den letzten Hör- und Sehgenuss mittels kürzlich erstandener CD mehrmals täglich zu Gemüte zu führen und wenn möglich selbiges Kunstwerk so oft wie es geht auch durch Video oder DVD im verdunkelten Zimmer zu konsumieren. Heruntergelassene Jalousien, gedimmtes Licht und eine geschlossene Türe kündigen im Anschluss an diese intensive Vorbereitungszeit die nicht minder aufwendige Probenphase an: Passende Requisiten werden aus dem Hausinventar entfernt, die richtigen Kostüme – auch manchmal aus meinem Kleiderschrank – entlehnt, der Zutritt jeglichen Familienmitgliedern strengstens verboten.

Ein amüsanter Zwischenfall ereignete sich, als ich vor ein paar Jahren einen Handwerker ins Haus ließ, der im ersten Stock etwas reparieren sollte und mein Bruder, der sich gerade intensiv mit den Proben für die „Rocky Horror Show“ auseinandersetzte, als Franken Furter originaltreu mit langer schwarzer Perücke, rotem Body, Strapsen und Stöckelschuhen durch den Vorraum stolzierte. Ich kommentierte den Vorfall mit: „Das ist mein Bruder Jakob“. Der Arbeiter nickte.

Doch ein Musical änderte alles: Als Jakob bei einem obligatorischen Besuch der Hauptstadt „Romeo und Julia“ gesehen hatte, erlebte der meist abwechslungsreiche Spielplan des Toth’schen Musiktheaters eine wahre Reform: Das Programm in Wien wurde zwar in gewohnter Manier fortgesetzt, das Programm in Salzburg wiederum barg nur noch die italienischen Liebenden. Und da reichte es natürlich nicht, wenn nur ein Darsteller, also er, das Geschehen auf der Bühne mimte. Nach dem Vorbild der Originalschauspieler begann Jakob, sich seine Mitspieler selbst anzufertigen. So zeichnete er runde Gesichter auf Butterbrotpapier und schnitt diese sorgfältig aus, um an Kleiderhaken befestigt die passenden Kostüme daran zu hängen.

Mittlerweile ist das Gäste- und einstige Computerzimmer zur Künstlergarderobe umfunktioniert worden, man denke nur an die zahlreichen Szenen- und Kostümwechsel. Der Fakt, dass auch dieser Zutritt verwehrt bleibt, brachte  mir schon des Öfteren heftige Diskussionen mit dem Künstlerischen Leiter ein, jeglicher Versuch, an die mediale Arbeitsstelle zu kommen, scheiterte im Regelfall, außer ich konnte in ganz dringenden Fällen eine Ausnahmegenehmigung erwirken und ihn mit einem lauten Seufzer dazu bringen, seine Zelte im angrenzenden Schlafzimmer aufzubauen. (…)

Es dauerte zwar eine ganze Weile, aber mittlerweile haben wir es vollbracht, Jakob davon zu überzeugen, einer Behinderten-Schauspieltruppe beizutreten. Das verweigerte er lange Zeit, in der wir ihm dies mehrmals vorschlugen, weil er nicht zu „den andern scheiß-behindert“ wollte. Seit ein paar Jahren glänzt er nun jedoch, im wahrsten Sinne des Wortes spielte er doch bei einer Adaption von „Jedermann“ den Mammon, bei den blauen Hunden, die Theater mit besonderen Menschen machen und lernte dort sogar seine jetzige Freundin Petra kennen.

Es ist sehr schön zu sehen, wie gut Jakob sich auf diese Weise auszudrücken vermag, in der neuen Spielzeit der blauen Hunde  wird sogar für die Aufführung  der „Rocky Horror Show“ geprobt, für die Jakob ja vor „Romeo und Julia“ langjährige Begeisterung hegte. Trotzdem bleibt er seinem Zimmertheater jedoch nach wie vor treu, vielleicht ist das einer seiner Wege, sich weniger „scheiß-behindert“ oder „verkehrt geboren“ zu fühlen.

Jakob Toth, Tobias Buchner, Volker Toth: Jakob – (m)ein Leben mit Down-Syndrom. Edition Tandem, Salzburg 2012. 136 Seiten, 22 Euro. - www.edition-tandem.at

Mit freundlicher Genehmigung der Editon Tandem

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