Querulanten und andere Käuze
LESEPROBE VOGGENHUBER / RES PUBLICA
09/02/11 "res publica - Reden gegen die Schwerkraft" heißt ein Buch mit Parlamentsreden von Johannes Voggenhuber, das im Residenz Verlag erschienen ist. - Wann hat ein Politiker zuletzt eine solche Rede gehalten für die Künstler, wie Voggenhuber am 2. April 1992? Es ist 18 Jahre her…
Von Johannes Voggenhuber
(…) In Österreich existiert ein Bild des Künstlers, das, wie ich glaube, mit dem in anderen Ländern nicht vergleichbar ist. Überall anders gibt es bis tief in die Bevölkerung hinein die Vorstellung von den großen Meistern. Es gibt den Stolz auf die Experimentatoren der eigenen Nation. Man fürchtet und bewundert die Führer oder "Verführer" der Jugend. Man ist schockiert über die ästhetischen Rebellen oder fürchtet die politischen. Man ehrt die Botschafter der eigenen Kultur. Man bestaunt die großen Kranken, liebt die großen Gaukler oder verehrt die Herolde der Befreiung. Ich will damit nur aufzeigen, wie vielfältig und wie stolz die Menschen in Europa die Künstler ihres Landes sehen. Und wie nehmen wir in Österreich unsere Künstler wahr? Ist da nicht noch immer tief in den Hinterköpfen das Bild vom armen Schlucker, vom giftigen kleinen Kauz, der im Wiener Kaffeehaus sitzt, vom Narren am Hofe der Subventionsgeber, vom Sündenbock der Gesellschaft in seiner Matratzengruft, der eigentlich nur an drei Todesarten sterben kann: an der Schwindsucht, an Alkohol oder durch Selbstmord? (…)
Wir sind wohl das einzige Land in Europa, das dieses Bild des verkommenen Bohemien aufrecht erhält, der sich, um vor der Gesellschaft seine Freiheit zu demonstrieren, in Alkohol und Laster flüchtet, Drogen nimmt und hin und wieder Gedichtlein schreibt oder Bildchen malt. (…)
Unsere Gesellschaft ist nicht gerade arm an Selbsttäuschungen. Die größte Selbsttäuschung ist die Behauptung, wir seien eine Leistungsgesellschaft. Das würde nämlich bedeuten: Wenn jemand sein Leben lang arbeitet und seine Arbeit für die Gesellschaft von Nutzen ist, dann kann er ökonomisch gesichert leben. Das ist aber eine Lüge. Betrachten Sie herausragende Leistungen für die Gesellschaft und deren Lohn. Da können Sie ruhig auch zur Sterbehilfe gehen oder zu den Pflegefällen, wo Menschen anderen Menschen Hilfe leisten müssen, die alles andere als angenehm, ästhetisch, zuträglich oder oft auch nur erträglich ist. Gehen Sie zu den Künstlern! Das ist eine Gruppe von Menschen, die außergewöhnliche Leistungen für diese Gesellschaft erbringt und dafür keinen gerechten Lohn erhält. Ich habe es wirklich satt, in den Denkmustern des Feudalsystems weiter zu diskutieren: Da noch ein Topf, dort noch ein Tröpfchen, da ein Rabatt, da ein Zuschlag, da eine Zuwendung, da eine Subvention – mit all dem, was in Österreich damit verbunden ist: Parteibuch, Patronanz und Abhängigkeit.
Es gibt hierzulande eine allgegenwärtige Feudalherrschaft über die Kunstsubvention. Die eigentliche Lüge aber, meine Damen und Herren, steckt darin, dass man die Künstler in Wahrheit vom Markt fernhält. Es ist ja nicht so, dass in dieser Gesellschaft die Kunst keine Verwendung fände. Von der Werbung über die Politik, das Fernsehen – alle Bereiche des Lebens sind von den Ideen, den Impulsen, den Innovationen der Künstler durchdrungen. Wenn wir fragen, wer davon profitiert, wer Gewinn daraus zieht, dann sehen wir, dass es in den allerwenigsten Fällen die Künstler selbst sind. Jemand schreibt eineinhalb Jahre lang an einem Buch, das mit einer Auflage von 5.000 Stück erscheint – das muss also schon ein gutgehendes Buch sein –, es kostet 150 Schilling. Dafür bekommt der Autor im Laufe von Jahren ein Honorar von 75.000 Schilling. Nach Abzug von Kosten, Steuern und Krankenversicherung bleibt ihm gerade so viel, um ein paar Monate recht und schlecht davon zu leben.
Ist das ein gerechter Lohn für hervorragende Leistungen in unserer Gesellschaft? Ich habe mich in den letzten Tagen erkundigt, wie es den Übersetzern in Österreich denn nach dem neuesten Stand der Dinge geht. Man kann es kaum glauben: Für eine André-Gide-Übersetzung werden derzeit in Wien 28 Mark pro Seite geboten. Sie erinnern sich vielleicht, dass Wollschläger 60 Mark für die Ulysses-Übersetzung bekommen hat. Daran arbeitete er pro Seite manchmal wochenlang, insgesamt über vier Jahre. Für eine Gramsci-Übersetzung wurden gar 120 Schilling pro Seite geboten. Dagegen wird die Werkanleitung einer Seilbahn mit 150 Schilling pro Zeile honoriert, simple Gebrauchsanweisungen kosten das Zigfache dessen, was für Übersetzungen auf dem Gebiet der Geisteswissenschaft und Literatur bezahlt wird. Ein erfolgreicher Autor mit seinen 4.000 Schilling Monatsgehalt muss dann noch dem Staat – dem Staat! – Freiexemplare abliefern. Das ist, als müsste ein Bauer dem Parlament bei jeder Sitzung Butter und Eier und ein paar Flaschen Wein abliefern.
In den Schulbüchern werden ihre Werke "selbstverständlich" kostenlos verwertet. Millionenfache Verleihungen erfolgen in Bibliotheken, ohne eine Gegenleistung! Wo ist da die Leistungsgesellschaft?
Kopien, millionenfach angefertigt, verwerten kostenlos fremdes geistiges Eigentum. Auf den Universitäten, in Seminaren und Übungen wandert das Freiexemplar des Autors durch die Kopiergeräte. So verbreitet sich das Werk eines einzelnen Menschen weiter über Bildträger und Schallträger und Satellitenempfänger und so weiter. So wird in Kunst und Literatur systematisch geistiges Eigentum vermarktet, mit Milliardengewinnen für die Händler und ohne einen Groschen für diejenigen, die diese Werke hervorgebracht haben.
Wir sind keine Leistungsgesellschaft gegenüber der Kunst. Wir sind eine üble und ungerechte Krämergesellschaft gegenüber den Künstlern in unserem Lande!
Wenn heute ein Maler für sein Bild 1.000 Schilling bekommt und es 30 Jahre später das Tausendfache wert ist, wer, glauben Sie, wird diese neue Einschätzung seiner Leistung durch den Markt abschöpfen? Derjenige, dessen Leistungen man jahrzehntelang verkannt hat? – Nein, derjenige, der ihn hortet, handelt und versteigert, der kassiert die Differenz, wenn der Marktpreis endlich korrigiert wird. Das ist keine Frage, die wir einfach verschieben können. Und da rede ich noch immer nicht von jenem Feudalwesen, das Sie Subventionspolitik nennen. Ich rede bloß von der allgemeinen Kunstförderung. Jeder künftige Markt verlangt vorausschauende Investitionen. Es geht nicht immer darum, Kunstwerke zu fördern, die keine Abnehmer finden, sondern darum, Kunstwerke zu fördern, die noch keine Abnehmer finden. Gestehen wir doch der Kunst zu, was wir jeder neuen Technologie zugestehen: Investitionen in ihre Zukunft.
So sehe ich die Ideen der Kunstfonds, der Kunststiftung, die Sozialversicherung für Kunstschaffende, die Steuerfreiheit für Kunstankäufe, das Folgerecht bei späteren Wertzuwächsen, die Idee, dass "tote" Kunst "lebende" Kunst fördert. Das wären nicht Sozialtöpfe neuer Art, das wären Investitionen in ein kulturelles Leben von morgen, in die Kunst von morgen oder – wenn Sie es nüchterner haben wollen – in den Markt von morgen.
In diesem Hause gibt es nur wenige Bereiche, wo sich die Sprecher aller Fraktionen zusammenfinden. Es sind Bereiche wie die Kunst- und Kulturpolitik, in denen auch die zuständigen Abgeordneten die Denkweisen in ihren Fraktionen wenig ändern können. Ich beteilige mich gerne an dieser Solidarität. Aber sie ist doch auch ein Zeichen dafür, dass wir uns auf verlorenem Posten fühlen, dass wir Machtkartellen gegenüberstehen, gegen die zu entscheiden mehr erfordert als nur die Solidarität der Kultursprecher in diesem Haus. Es braucht die öffentliche Konfrontation und die Polarisierung
Lassen Sie mich schließen mit einem kurzen Zitat von Wollschläger, dem Joyce-Übersetzer, der über Deutschland gesagt hat, was ich jetzt über Österreich sagen möchte: "Nein, man wird, als Dichter und Denker jedenfalls, vielleicht aber auch sonst, in diese Nation hineingeboren wie in ein Unglück."
Johannes Voggenhuber: "res publica - Reden gegen die Schwerkraft". 376 Seiten. Residenz Verlag, 2010. € 24,90.
Buchpräsentation morgen, Donnerstag (10.2.) um 19 Uhr, in der Bibliotheksaula der Universität Salzburg (Hofstallgasse 2).