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Das Mädchen und der Tod

LESEPROBE / RAURISER LITERATURPREIS / POLANSKY

19/03/25 „Lilli Polansky hat beim Schreiben alles richtig gemacht. Beeindruckend, wie sehr sie sich dabei dem Kern ihrer Persönlichkeit nähert, ohne auf dieser Suche zu Worthülsen oder Klischees zu greifen“, hieß es in der APA über Lilli Polanskys mit dem Rauriser Literaturpreis 2025 ausgezeichnetes Roman-Debut. – Hier eine Leseprobe.

Von Lilli Polansky

Fremdkörper

Vier Monate nach meinem zwanzigsten Geburtstag bekam ich einen Herzschrittmacher eingesetzt.

Der 19. April war ein warmer, sonniger Tag, den ich lieber nicht in einem Krankenhauszimmer verbracht hätte. Während wir mit dem Aufzug auf die Station fuhren, klärte mich eine Schwester schroff über all die Dinge auf, die man mit einem Herzschrittmacher nicht machen durfte: eine Mikrowelle benutzen. Sich mit einer Körperfettwaage wiegen. Mit einem Induktionsherd kochen. Sich neben eine Stromleitung stellen. Mit einem Metalldetektor hantieren. Mehrere Minuten in der Diebstahlschranke eines Geschäftes verweilen.
Das klingt ja alles gar nicht so schlimm, dachte ich, erleichtert, dass ich meine Bluetooth-Kopfhörer weiterhin benutzen durfte und auch zu meinem iPhone keinen Sicherheitsabstand von fünfzehn Zentimetern einhalten musste, was Google auf meine Frage »Was darf man mit Herzschrittmacher nicht machen?« als obersten Treffer ausgespuckt hatte.
»So, da samma«, erklärte die Schwester, als wir am Ende des Ganges angekommen waren und vor einer dunkelblauen Zimmertüre standen. »Sie haben eine Zimmergenossin, ihr Name ist Ingrid. Schauen’S halt, wie’S zurechtkommen miteinander, sie hustet ziemlich stark. Hat bis jetzt alle Mitpatientinnen verscheucht. I wünsch Ihnen Glück. Heute Abend kommt der Anästhesist, um die Narkose zu besprechen.«
Ich nickte und wollte schon die Zimmertüre aufstoßen, als sie sagte: »Schwanger san’S eh ned, oder?«
Ich schüttelte den Kopf.
Ingrid war eine recht korpulente Frau, die ich auf Mitte vierzig schätzte. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit strahlend blauen Augen, das von krausem wasserstoffblond gefärbtem Haar umrahmt wurde. Als ich den Raum betrat, telefonierte sie, während sie mit den Fingern in einer Chipspackung wühlte. Kelly’s Salt and Vinegar. Unsere Blicke trafen sich, sie nickte mir zu und widmete sich dann wieder ihrem Gesprächspartner. Ihrem Mann, vermutete ich. Aus den Gesprächsfetzen, die ich zwischen dem Rascheln der Chipstüte und ihrem genüsslichen Schmatzen ausmachen konnte, gelang es mir, ein paar Fakten über Ingrid zu erfahren. Ihr Husten war immer noch scheußlich. Angefangen hatte das bei ihrer Coronainfektion vor einem Jahr. Deshalb lag sie seit fast einer Woche im Krankenhaus, und die ganzen Inhalationen halfen nur wenig. Auch in der Nacht ließ der Hustenreiz ihr keine Ruhe. Sie hatte den einzigen Raum gefunden, in dem es nicht nach Desinfektionsmittel stank, das Restaurant im Eingangsbereich. Köstlichen Spargel hatten sie dort. Zum Glück hatte sie ihren Koffer dabei, sie wusste wirklich nicht, was sie ohne ihn machen würde. Hoffentlich hatte sie genug eingepackt. Wie ging es den Kindern? War Sabrina am Wochenende schon wieder so spät nach Hause gekommen? Da musste man langsam echt was machen, so ging das nicht weiter, dieses ständige Widersetzen musste ein Ende haben, Teenager hin oder her, jemand musste sich durchsetzen! Gut, dann bis morgen, grüß die Kinder von mir. Tschüss.
Nachdem sie aufgelegt hatte, musterte sie mich von Kopf bis Fuß, verzog ihre roten Lippen zu einem Lächeln und sagte: »Hallo, ich bin die Ingrid!«
Als ich mich vorgestellt hatte, wurde Ingrid von einem Hustenanfall geschüttelt. Es war kein Husten, den man hat, wenn man leicht verkühlt ist, sondern ein Husten, der einem wirklich einen Schauer über den Rücken jagt, weil er sich anhörte, als würde sie verzweifelt nach Luft ringen, während ihre Lunge nur ein rasselndes, quälend langsames Pfeifen von sich gab. Das Geräusch ließ mich vermuten, dass ihr Hals sich anfühlte wie Sandpapier. Sie entschuldigte sich, sagte, dass dieser elende Husten einfach nicht besser werden wolle, und das alles nur wegen diesem Scheißcorona.
Erst als sie aufstand, um sich die Nase zu putzen, fiel mir der gigantische blaue Koffer auf, der neben ihrem Bett stand. Fast so etwas wie Panik stieg in mir auf, während ich auf meine eigene Reisetasche hinuntersah, die klein und traurig zu meinen Füßen lag. Hätte ich ein paar Unterhosen mehr einpacken sollen? Ein, zwei Pullover und ein Paar Schuhe? Vielleicht lag ich falsch in meiner Annahme, dass man im Krankenhaus ohnehin diese Kittel tragen musste.
Ingrids Koffer war dermaßen massiv und voll, dass ich zweifelte, ob sich tatsächlich nur Kleidung darin befand. Womöglich hatte sie ihre Bibliothek mitgenommen. Oder zweihundert verschiedene Kosmetikartikel. Die gaben sie einem ja im Krankenhaus nicht. Ich beschloss, einen genaueren Blick in den Koffer zu werfen, wenn Ingrid ihn das nächste Mal öffnete.
»Na, Sie sind ja ein zartes Mauserl!«, sagte eine tiefe Stimme. »Da werd ich ja nur ganz wenig Narkosemittel brauchen, sonst sterben’S mir weg!«

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Schöffling & Co

Lilli Polansky: Gratulieren müsst ihr mir nicht. Roman. Schöffling & Co, Frankfurt a.M. 2024. 272 Seiten, 22,70 Euro – e-Book 16,99  – www.schoeffling.de
Die Rauriser Literaturtage beginnen heute Mittwoch (19.3.) und dauern bis Sonntag (23.3.)
www.rauriser-literaturtage.at
Bild: Schöffling / Teresa Novotny Knights of RGB
Zum Vorbericht über die Rauriser Literaturtage und den Rauriser Literaturpreis 2025 
Schreiben gegen Krieg und Leid
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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