Die Seele ist ein Fremdes auf Erden
LESEPROBE / STEINWENDTNER
02/08/22 Grande Dame der Literaturvermittlung. Langjährige Leiterin der Rauriser Literaturtage. Namhafte Autorin: Brita Steinwendtner feiert am 3. August ihren 80. Geburtstag. Punktgenau erscheint dazu ihr neues Buch An den Gestaden des Wortes. Die Autorin öffnet darin elf Dichterlandschaften, führt kundig und erhellend zu Ilse Aichinger, H.C. Artmann, Tania Blixen oder Georg Trakl. – Hier eine Leseprobe.
Von Brita Steinwendtner
Die Seele ist ein Fremdes auf Erden
GEORG TRAKL
Die drei Teiche in Hellbrunn
… Und dann ist Georg Trakl beim Tor angelangt. Es ist in die hohe, gelbe Mauer gebrochen, hinter der sich ein weitläufiger Park öffnet, der Schlosspark von Hellbrunn. Vielleicht zögert er diesen Blick in die Offenheit auf Wiesenrund, Hügel und Gebirge hinaus und geht rechts durch das schmälere, von Obelisken gekrönte Tor. Geht die lange, schmale Zufahrt entlang, die von den Erbauern dafür gedacht war, den Moment manieristisch hinauszuzögern, der endlich das Schloss mit den beiden geschwungenen Freitreppen sichtbar macht. Über fünfzig Obelisken gibt es in der gesamten Anlage. Eine symbolische Demonstration der Lust, die verboten war? Das Schloss war dennoch als Tribut an die Zeit als Lustschloss bezeichnet, von Fürsterzbischof Markus Sittikus von Hohenems erbaut, der 1612 zum Salzburger Erzbischof ernannt worden war. Bereits ein Jahr später ging er daran, seinen Traum von Geselligkeit und Repräsentation zu verwirklichen, begann mit dem Bau des Schlosses und stattete es reich mit bald weithin berühmten Wasserspielen sowie einem Wasserparterre mit kunstvollen Teichen aus, weiters mit einem Zier-, Jagd- und einem mythischen Garten, denen sich später ein englisch-naturbelassener Park anfügte und am Fuß des Hellbrunner Hügels weit Richtung Süden entlangzieht.
Große Feste wurden hier gefeiert, Schausteller, Gaukler und Musikanten kamen, die Adelsgesellschaft und die hohe Geistlichkeit trafen sich zu ausgelassenen Vergnügungen im üppig gestalteten Festsaal, im Theatrum wurden heitere und erbauliche Stücke gespielt, es wurde getanzt, getafelt und gejagt. Tierhatzen fanden statt, man berichtet aus dem Jahr 1618, dass ein Bär, ein Stier und ein Pferd gegeneinandergehetzt wurden, letztlich wurde der Stier, das uralte Kulttier, durch Jäger mit Spießen getötet. Wollte Markus Sittikus von seiner Angst vor der mächtigen Verwandtschaft seines Vorgängers Wolf Dietrich ablenken, den er auf der Festung Hohensalzburg eingekerkert und sterben hatte lassen, und von der er fürchtete, aus Rache vertrieben und getötet zu werden? Wollte er zeigen, wie gut er das Leben zu genießen wusste, jetzt, da er selbst an der Macht war?
Das alles geht Trakl nichts an.
Macht ist ihm fremd, die Mächtigen fern. Er steht auf der Seite der Machtlosen, der Verlorenen, ist selbst einer. Ist getrieben von anderen Bildern, von blutigen Linnen, zerbrochenen Augen, erloschenen Sternen. Von verpesteten Seufzern der Schwermut. Gesenkten Blicks geht er durch den Schlosshof, der Kies knirscht unter seinem Schuh. Vielleicht ist er aber auch im Parkinneren der hohen Mauer entlanggegangen, unter den seltenen, riesigen, zum Teil exotischen Bäumen, die nach einem genauen botanischen Plan vor Jahrhunderten hier gesetzt wurden und die Zeiten und Stürme überlebt haben. Sein Ziel: die drei Teiche von Hellbrunn. Groß und kunstvoll geschwungen ist der mittlere, gewölbte Brückchen verbinden seine Teile. Die beiden Weiher zur Linken und Rechten sind oval, der eine, zum Landschaftsgarten hin, etwas versumpft und unter dichtem Blätterdach, der andere im Schatten des steil aufsteigenden Hügels, einsam, beschützt und verdunkelt. Diesen Ort liebt Trakl. Hier ist er allein.
DIE DREI TEICHE VON HELLBRUNN
DER ERSTE
Um die Blumen taumelt das Fliegengeschmeiß
Um die bleichen Blumen auf dumpfer Flut,
Geh fort! Geh fort! Es brennt die Luft!
In der Tiefe glüht der Verwesung Glut!
Die Weide weint, das Schweigen starrt,
Auf den Wassern braut ein schwüler Dunst.
Geh fort! Geh fort! Dies ist der Ort
Für schwarzer Kröten ekle Brunst.
DER ZWEITE
Bilder von Wolken, Blumen und Menschen –
Singe, singe, freudige Welt!
Lächelnde Unschuld spiegelt dich wider –
Himmlisch wird alles, was ihr gefällt:
Dunkles wandelt sie freundlich in Helle,
Fernes wird nah. O Freudiger du!
Sonne, Wolken, Blumen und Menschen
Atmen selige Gottesruh.
DER DRITTE
Die Wasser schimmern grünlich-blau
Und ruhig atmen die Zypressen,
Es tönt der Abend glockentief –
Da wächst die Tiefe unermessen.
Der Mond steigt auf, es blaut die Nacht,
Erblüht im Widerschein der Fluten –
Ein rätselvolles Sphinxgesicht,
Daran mein Herz sich will verbluten.
Der Verwesung Glut und die freudige Welt, selige Gottesruh und ein rätselvolles Sphinxgesicht, daran einer verblutetet – das ist Trakl. Geh fort! Geh fort! Wohin? Er wird vieles versuchen, siebenmal wird er neu ansetzen, angekommen ist er durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges in der Nähe von Grodek in Westgalizien, in einer Scheune mit neunzig Schwerverletzten, denen er als Medikamentenakzesist seiner Einheit 7/14 der k.u.k. Armee des Habsburgerreiches nicht helfen kann. Unfähig, dieses Grauen, die Schmerzens- und Todesschreie zu ertragen, will er sich erschießen. Er wird in das Garnisonsspital von Krakau zur „Beobachtung des Geisteszustandes“ eingewiesen. Dann wartet nur noch der Tod auf ihn. Herzlähmung durch eine Überdosis Kokain. Es war der Abend des 3. November 1914
Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlages
Brita Steinwendtner: An den Gestaden des Wortes. Dichterlandschaften. Otto Müller Verlag, Salzburg 2022. 384 Seiten, 27 Euro, E-Book 20,99 Euro – www.omvs.at
An den Gestaden des Wortes
- Buchpremiere ist heute Dienstag 2. August um 19.30 im Arkadenhof der Rupertus Buchhandlung in der Dreifaltigkeitsgasse 12 – Eintritt ist frei, Anmeldung erbeten unter
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- Radiogeschichten folgen morgen Mittwoch 3. August, dem Geburtstag von Brita Steinwendtner, um 11:05 auf Ö1
Bild www.britasteinwendtner.at / Wolfram Steinwendtner