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Negermusik und Nylons für Fräuleins

LESEPROBE / KINDHEIT UND JUGEND IN SALZBURG

24/07/20 Nichts ist interessanter, als Menschen, die sich auf oral history einlassen, sich erinnern und erzählen. Noch besser, wenn ein Schuss Ironie dabei ist. In der Edition Tandem erschienen: Kindheit und Jugend in Salzburg 1945–1975. Christian Lunzer erinnert an die Faszination von „Amidreck“ und anderem, was den Altvorderen damals als verwerflich galt.

Von Christian Lunzer

(…) Die Hoffnung auf ein neues, freies Leben, ohne Angst, Hunger und Kälte erfüllte sich zunächst noch nicht. Aber Salzburg hatte Glück mit der so genannten Besatzung. Die Amerikaner, die Amis, im Gegensatz zu den anderen Besatzungsmächten, hatten Geld (Dollars!), vor allem aber hatten sie alles, was man sich als Wunsch an die Zukunft nur vorstellen konnte: saubere Kleidung aus feinen Stoffen, sie rauchten Camel, Chesterfield und Lucky Strike, hatten Schokolade: Cadbury und Hershey, Kaugummi, Ananas in Dosen und Nylons für Fräuleins. Und die bunten, chromglänzenden Autos, so groß und breit, dass sie in den engen Gassen der Altstadt nicht fahren konnten. Buick und Pontiac, Studebaker, Kaiser und Chrysler.

(…) Ab der fünften Klasse Englisch und – endlich – fünfzehn. Halb-Stark. Phantastisch, fünfzehn zu sein, und so einfach, in der Sicherheit, schon am richtigen Weg in eine freiere, schönere, bessere Zukunft, voll noch ungeahnter Möglichkeiten. Die Schule, ein notwendiges Übel. Studium, Beruf, Arbeitsplatz: kein Problem. Die ganze Welt ist offen, weit offen. Nur für uns. Diese unerschütterliche Überzeugung, alles Neue müsse gut und der Fortschritt zwangsläufig positiv sein, war wohl für unsere Zeit damals spezifisch und unterschied uns von ebenso jugendlichen Vor- und Nachfahren. „Hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet uns Zukunft empor.“

Alles Vergangene, Gestrige war dumpf und alt. Alt waren die Älteren, die meisten Eltern, die meisten Lehrer, alt waren Steireranzug und Loden, Dirndln, Trachten überhaupt, Blasmusik und Heimatfilme, deutsche Schlager, Kameradschaftsbünde und Geschichten vom Krieg. „Wir damals …“, „Macht’s erst einmal mit, was wir mitgemacht haben“. Und noch besser: Alles Neue, Interessante, Spannende war von den Alten verboten, Jugendverbot, und wenn nicht verboten, so doch „entschieden abzulehnen“: primitiv, jugendgefährdend, sittenlos (in Salzburg „ausgschamt”), unmoralisch, unpassend, auch noch: undeutsch, entartet, stammte von Hottentotten, Kaffern, Negern und Affen oder war ganz allgemein „Amidreck”. Aus den Köpfen waren die Nazis also doch noch nicht abgezogen. Es war so einfach, sich abzugrenzen, zu orientieren, dafür zu sein: Jugendkultur.

Verboten war erstens, prinzipiell und strengstens alles, was auch nur in die Nähe von Erotik und Sexualität hätte kommen können. Strengstes Jugendverbot. Tabu. Darüber wird nicht gesprochen.

Unkeusch. Sündhaft. In Gedanken (woran, wie oft), in Worten (was, wie oft) oder in Taten (Todsünde). Aufreizend, schamlos. Jungmann und Jungfrau, Reinheit bewahren, heilige Ehe und Mutterschaft.

Verboten: Mädchen in Hosen. Neue Mode, ausgschamt. Petticoat, breite Gürtel und enge Angorapullover. Sittenlos, undeutsch: Namen wie Sylvia, Helga, Brixi, Trixi und Babsi, statt Sigrun, Helmtraut und Gudrun. Verboten in der Schule: Kaugummi (Wiederkäuer) und Bluejeans (Amidreck). Aber ohne Jeans auf die Straße, ohne Kennzeichen, unmöglich. Daher hatten wir sie in Bad Reichenhall heimlich gekauft und beim Schulwart deponiert. Umziehen nach dem Unterricht.

Ab ins Espresso (undeutsch), ins Cosy im neuen Münzdurchgang, ins Dixie oder ins Guggi in der Getreidegasse (Aminamen). Jukebox, Coca-Cola (Amidreck, zerfrisst die Magenwände). Johnny ohne Filter und die neue Smart Export (Amitschick). Ins Non-Stop in der Griesgasse.

Jede Woche neues Programm. Fox tönende Wochenschau (höhnende Knochenschau) und Trickfilme. Micky und Donald, Tom und Jerry, Supermouse (Amidreck). So viel Neues gab es zu sehen und zu hören. Die wichtigsten Filme liefen in den Kinos: im Mirabell, Mozart, Lifka und Elmo, sogar im Kino Herrnau. Alle Jugendverbot. Brigitte Bardot „Und immer lockt das Weib“, „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“.

Im ganzen Land verboten: Ingmar Bergmann „Das Schweigen“. Dafür mussten wir nach Bad Reichenhall mit dem Bus, was von der Schule beobachtet, notiert und entsprechend geahndet wurde. Sitten- nicht Betragensnote. Amifilme, verboten, „Psycho”, verboten Tennessee Williams, Marlon Brando im Ruderleiberl. Wunderbar passende Titel „Süßer Vogel Jugend“ und „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, „Der Wilde“.

Wir alle wollten wie Anthony Perkins sein oder wie James Dean. Schlüsselwort: lässig. Große Filme im neuen Stadtkino, Technicolor und Cinemascope. Erlaubt und wertvoll: Victor Mature in „Das Gewand“, „Die Bibel“ und „Krieg und Frieden“. Pause, Balkon. Vier Stunden, Händchen halten mit Helga.

(…) Im Großen Festspielhaus, noch im alten NS-Schlagobers-Barock, spielten schwarze Musiker aus New Orleans, Albert Nicolas und Bill Coleman. Negermusik. Die aber bald interessanter war als Elvis, der Schnulzenkönig, und Bill Haley, die Schmalzlocke. Informationen dazu im Amerikahaus (Ami) in der Münzgasse, alle Zeitschriften, Down Beat und Jazz-Podium, neue Platten: Modern Jazz Quartett und Duke Ellington. Amidreck, Krach, einsame Insel.

Neue Musik gratis in den Schülerkonzerten des Mozarteums, Strawinsky, Bartok, Ravel (undeutsch) und im Neuen Kurhaus (Betonkasten, unpassend). (…) Jeder Salzburger sollte ein Musikinstrument beherrschen: Nach der „Benny Goodman Story” im Mozartkino konnte es nur eine Klarinette sein. Ist zu teuer. Im Musikhaus Pühringer: „A billige Trompeten hätt ma da.” Auch gut. Chet Baker. Damit Sitz im Schulorchester, zum Tag der Fahne im Großen Festspielhaus. Chor des Mädchenrealgymnasiums St. Ursula, Orchester des Bundesgymnasiums. Musikalische Leitung unser Musikprofessor. Trompete in B. Land der Berge. (...)

Mit freundlicher Genehmigung der Edition Tandem

Volker Toth (Hrsg): Kindheit und Jugend in Salzburg 1945-1975. Erinnertes und Erzähltes. Edition Tandem, Salzburg 2020. 185 Seiten. 23 Euro – www.edition-tandem.at

 

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