Dichter nicht bei Trost
LEKTÜRE / DODEL / NICHT BEI TROST / LITERATURFEST / ERÖFFNUNG
Das Haiku ist mit drei Zeilen zu fünf, sieben und fünf Silben die wohl kürzeste Gedichtform - und eine der ältesten überhaupt. Schon im alten Japan freilich hat man solche Kürzestgedichte aneinander gehängt - als Gesellschaftsspiel. Franz Dodel spielt dieses Spiel, das wie alles Dichten weit mehr ist, als nur ein Spiel, seit acht Jahren, mit sich allein: Seit 2002 schreibt der aus Bern gebürtige Dichter und Theologe an seinem Kettengedicht „Nicht bei Trost“. Es umfasst mittlerweile über 16 000 Zeilen, die Franz Dodel im Internet und in Büchern veröffentlicht. So sind die Zeilen 6.001-12.000 in der Wiener Edition Korrespondenzen erschienen, das Buch wurde mit dem Österreichischen Staatspreis für die schönsten Bücher 2008 ausgezeichnet. Die derzeit letzten Zeilen online lauten:
ein Wort schliesslich das
die Erinnerung weckt sie
hervorlockt und stützt
damit sie hineintreibt in
die Lautlosigkeit
in diesen Text der nichts ist
als ein Geräusch das
Stille hervortreten lässt
und zugleich schiebt es
sie beharrlich zur Seite
Weiter geht es am 1. Juni, heißt es auf der website des Dichters. „Wie ein textiles Geflecht breitet sich dieses Kettengedicht in die verschiedensten inhaltlichen Richtungen aus. Es schwingt von lyrischen Natureindrücken zu philosophisch religiösen Betrachtungen, verarbeitet antikes Textmaterial, greift biographische Erinnerungsbruchstücke auf und bezieht sich immer wieder auf die sich ausbreitende Textur selbst. Nach jeweils fünfhundert Zeilen knüpft der Inhalt (als Hommage) an Marcel Prousts À la recherche du temps perdu an.“ - Hier eine Leseprobe.
Von Franz Dodel
Nicht bei Trost
Haiku, endlos
….
Möwen kreisen dort
über dem See und zeigen
wo die Fischschwärme
bisweilen höher schwimmen
doch heute fischen
wieder die Rentner zirkeln
mit Echoloten
freudlos über den Seegrund
gelangweilt folgen
ein paar Möwen den schlauen
Booten der Alten
Fragen Antworten bleiben
sich fremd stellen sich
nur uns zu liebe manchmal
nebeneinander
stehen die beiden zu nah
beisammen oder
zu weit auseinander zieht
die Neugierde ab
« warum liebst du mich? » fragt sie
« weil ich dich liebe »
der « weshalb ist etwas? » –
« damit nicht nichts ist »
dies sind Spiele die sprachlich
an die Erfahrung
anknüpfen die noch frei ist
von jeglichem Sinn
Nichtssagendes sagt oft mehr
als blöde Fülle
gern bricht durch Gewöhnliches
der Himmel herein
sollte dieser Text enden
so würde ich ihn
mit derselben Hingabe
nicht weiterschreiben
mit der ich ihn schrieb
die großen Fische
fressen die kleinen aber
noch besser wäre
beim Gehen keine Spuren
zu hinterlassen
die Flugbahn vor Augen der
Charadrios folgt
wenn er auffliegt vom Kranken
durchs erloschene
Fenster pfeift er dem Regen
und dem stillen Korn
…
Mit freundlicher Genehmigung der Edition Korrespondenzen.
Franz Dodel: Nicht bei Trost. Haiku, endlos. Edition Korrespondenzen, Wien 2008. www.korrespondenzen.at ; www.franzdodel.ch
Mit einem „Bunten Abend“ wurde das dritte Literaturfest Salzburg gestern, Mittwoch (26.5.), in der Großen Aula eröffnet. Franz Dodel las Sprachspielerisches, Erika Pluhar Autobiografisches, Anselm Glück Bildreiches und Andreas Maier Kritisch-Witziges. Weitere Termine: www.literaturfest-salzburg.at