asdf
 

Nicht nur Schall, auch Rauch bitte!

LESEPROBE / BORSTENVIEH UND DONAUWALZER

15/12/17 Wenn es nach dem Julianischen Kalender ginge, dann wäre am 13. Dezember die längste Nacht im Jahr, also die eigentliche Jahreswende. So kommt Lucia, die Heilige des Lichts (und des Augenlichts) zu ihrem Gedenktag. - Eine Leseprobe aus dem Buch „Borstenvieh und Donauwalzer“ von Reinhard Kriechbaum.

Von Reinhard Kriechbaum

Mondkalender und Sonnenkalender wollen einfach nicht zusammenpassen. Die zwölf Mond-Zyklen sind das natürliche „Anschauungsmaterial“ für die Monatseinteilung, und sie reichen nun mal nicht aus, um das Sonnenjahr ganz zu füllen. An der Differenz zwischen den 365¼ Tagen des Sonnenjahrs und den nur 354 Tagen des Mondjahrs lässt sich nicht rütteln. Dem Aberglauben haben die elf quasi „aus der Zeit“ gefallenen Tage mächtig auf die Sprünge geholfen.

Dass es nicht nur im „dunklen“ Mittelalter, sondern bis weit in die Neuzeit hinein unterschiedliche Jahreswechsel-Termine gab, hat die Sache fürs einfache Volk nicht überschaubarer gemacht. Ab wann das neue Jahr zu zählen ist, war beinah nach Gutdünken geregelt.

Und dann war da noch bis 1582 die aufgelaufene Zeitdifferenz zwischen Sonnenjahr und dem Julianischen Kalender! In Tirol sagte man bis ins 19. Jahrhundert hinein: „Sankt Lutzen macht den Tag stutzen.“ Wie das? „Sankt Lutzen“ meint den Gedenktag für die heilige Lucia am 13. Dezember. Weil das reale Sonnenjahr bis zur Datumskorrektur unter Papst Gregor XIII. vorauslief, war dieser Tag nach subjektiver Wahrnehmung der allerdunkelste im Jahr. Auch in Schlesien hatte man „Die Zwölften“ von Lucia aus bis Weihnachten angesetzt.

„Die Zwölften“: Das sind eben jene elf Tage Zeitunterschied zwischen Mond- und Sonnenjahr, plus dem Ausgangstag, den man mitgezählt hat. Man sprach auch von der Zeit „zwischen den Jahren“. „Twische de dage“ hieß es in Schleswig-Holstein, „Zwischennächte“ sagte man in Böhmen und im Vogtland. Gemäß den beschriebenen Kalender-Ungleichheiten meinte man nicht überall die gleiche Zeitspanne, aber dasselbe Phänomen, das geeignet war, Angst zu machen: „verlorene“ Tage, die obendrein in die Wochen mit den allerlängsten Nächten fielen.

Im Alpenraum vor allem hat man dafür das anschauliche Wort Raunächte geprägt. Je nachdem, ob man die christlichen Feiertage einrechnete oder nicht, gebrauchte man den Begriff Raunächte für leicht differenzierende Zeiträume: Vom Thomastag (21. Dezember, der wirklich längsten Nacht) bis Silvester, von Weihnachten bis Jahreswechsel oder auch bis Dreikönig. In Oberösterreich heißt gar die lange Zeit von Weihnachten bis Sankt Valentin (14. Februar) „unter den Nachtn“. Das Wort „Altjahrswoche“ gebraucht man in der Schweiz für die Spanne von Weihnachten bis Jahreswechsel.

In neuer Zeit haben sich vier Termine als eigentliche Raunächte eingebürgert: der 21., 24. und 31. Dezember sowie der 6. Januar. „Raunächt san vier, zwoa foast und zwoa diar“, heißt es im Salzkammergut – also „dürre“ (Thomas und Silvester) und „feiste“ oder „fette“ Raunächte (die Heilige Nacht und Dreikönig). Die Bezeichnungen haben mit dem Essen zu tun, zu Weihnachten und Dreikönig war die Tafel dem Anlass gemäß üppiger gedeckt.

Zu allen vier Terminen – also auch zu Silvester – war und ist es in ländlichen Gegenden (vor allem im Alpenraum) nach wie vor üblich, abends mit Weihrauch durch die Wohnung und auch in den Stall zu gehen.

Vor der Rechtschreibreform, als man noch „Rauhnächte“ schrieb, war das Wort ja noch anschaulicher. Eigentlich leitet es sich nicht vom Wort „rau“ ab (obwohl das sehr schön zur Jahreszeit passen würde), sondern vom Rauch. Da in verschiedensten Sagenkreisen die Mär umging, dass in diesen finsteren Nächten die Geister Ausgang hätten, setzte man auf die segensreiche Kraft von Weihrauch. Der Duden lässt neben „Raunacht“ auch das Wort „Rauchnacht“ zu, womit er trotz Rechtschreibreform wieder ein wenig ethymologische Wahrheit einbringt.

„Rauchen gehen“, „Räuchern“, „Hausausräuchern“ sind typische Bezeichnungen für die religiöse Handlung innerhalb der Familie. Die Kohle glüht in einer „Rauchpfanne“ oder einem anderen geeigneten Behältnis. Das gelbe Harz beginnt bei rund 800 Grad seinen Duft zu entfalten. Bei den Bauern ist das Tragen der Rauchpfanne die ureigenste Aufgabe des Familienvaters. Der älteste Sohn oder andere Hausbewohner assistieren und besprengen Menschen, Tier und Gerätschaften mit Weihwasser.

In der Zeit der Aufklärung hat man das Räuchern genau so wenig gern gesehen wie andere Bräuche. Nachdem das Räuchern 1777 von Maria Theresia für die Erblande und 1785 von Josef II. für Tirol verboten worden war, überlegten die Salzburger 1788 ein Verbot, empfohlen aber statt dessen eine Hausandacht zur Vermeidung von Gefahren.

Mancherorts gehört eine „Maulgabe“ für die Stalltiere dazu. Es fehlt nicht an Märchen und Sagen, in denen die Tiere gerade in den Raunächten reden. In den Nächten „zwischen den Jahren“ ist eben alles anders, geheimnisvoller, auch Angst machender als sonst. Aber die Hoffnung stirbt, wie man so schön sagt, zuletzt: Im Stodertal (in der oberösterreichischen Alpenregion) ist es nach wie vor üblich, dass sich die ganze Familie nach dem Räuchern in der Stube im Kreis um die Räucherpfanne aufstellt. Die Männer „fangen“ mit dem Hut die Weihrauchwolke ein und setzen den Hut zwei Mal auf, die Frauen machen das Gleiche mit dem Kopftuch. Es heißt, das helfe gegen Kopf- und Zahnschmerzen.

Eigenartig eigentlich: Gerade, nachdem nach christlicher Überzeugung mit der Geburt Jesu das Licht in die Welt gekommen ist, schlägt im lebendigen Volksglauben die Geisterstunde.

Aus dem Buch „Borstenvieh und Donauwalzer. Geschichten und Bräuche rund um den Jahreswechsel“ von Reinhard Kriechbaum, erschienen im Verlag Anton Pustet – www.pustet.at
Bild: Salzburger Land Tourismus GesmbH
Zur Buchbesprechung Springen und Schreien, Heischen und Hüpfen

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014