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In die Mitte eines Menschen schauen

LESEPROBE / HERBERT SKLENKA / CHAMÄLEONHIMMEL

24/10/17 Bijou, das Weisenkind zieht mit dem Wanderzirkus, Kamelfrau, Hühnermann und Baumspringer, durch die Ebenen am Südrand der Sahara. Andere Leute in Herbert Sklenkas Roman „Chamäleonhimmel“ sind Eberhard, der desillusionierte Entwicklungshelfer und die Schweizerin Mariechen, die ein Lepradorf betreibt. Zwei Welten prallen aufeinander. - Hier eine Leseprobe.

Von Herbert Sklenka

08/09/17 Bijou stand unter dem Chamäleonhimmel und staunte noch mehr, als sie damals über den fliegenden Mann gestaunt hatte. Unzählige kleine Lichterflecken funkelten über ihr im Dunkel des Baumes, verirrten Sternen gleich, und wenn sie ihre Taschenlampe bewegte, dann erschienen immer neue, während andere verschwanden. Das Mädchen schloss die Augen, hielt für einen Moment die Hände vors Gesicht und öffnete sie wieder. Es war immer noch da, dieses golden-gesprenkelte Mysterium.

Schon als sie die schwarzgrauen Vögel gesehen hatte mit ihren großen Augen und den weißen Brauen, hatte sie geahnt, dass sie sich hier an einem besonderen Ort befand. Was mussten das für Menschen sein, die die Beseligung hatten, in diesem Garten voller Wunder leben zu dürfen.

Es war höchste Zeit zu gehen, aber Bijou wollte noch nicht zurück in den Pferch. Sie schaltete die Lampe aus und hockte sich im Dunkeln auf den Boden. Der glitzernde Himmel war über ihr, und wenn sie ihn auch nicht sehen konnte, so konnte sie ihn doch jederzeit neu erschaffen.

Sie fühlte ein leichtes Zupfen im Inneren ihres Nabels, wie damals bei den jungen Tieren, aber sie wusste nicht, was das war, ihr Vater hatte ihr so etwas jedenfalls nicht beigebracht, da war er nicht lange genug bei ihr gewesen, und außerdem hatte er andere Fertigkeiten für wichtiger erachtet.

Bijous Vater Kamara konnte in allen Sprachen freundlich sein und in allen Sprachen betrügen, auf Ewe, auf Wolof, auf Französisch, auf Hausa, sogar ein wenig Ashanti und Youroba hatte er gelernt bei seinen unendlichen Zügen durch den Sahel. „Du musst in die Mitte eines Menschen schauen können“, hatte er Bijou immer gepredigt, „denn wenn du seine Innenseite betrachten kannst, gehört er dir.“

Kamara war ein Peul, und was seine Ruhelosigkeit und seinen Stolz betraf, so war er wahrscheinlich der peulste aller Peul. Ein wenig Demut hätte ihm nicht geschadet, das ahnte er manchmal, nicht so sehr gegenüber dem Leben, sondern eher gegenüber dem Sterben, aber für Demut hatte er einfach kein Talent.

Schon mehrmals war er nur knapp dem Tod entgangen, wer sprang schon fröhlich in einen Fluss, ohne schwimmen zu können, oder ritt eine Rotstirngazelle, die das nicht wollte und mit ihren Hörnern ihr Missbehagen deutlich zum Ausdruck brachte, Kamaras Sorglosigkeit und sein Leichtsinn versetzten immer wieder alle Menschen in Staunen, auch ihn selbst, aber sobald eine Gefahr vorbei war, war sie schon vergessen, da lebte er zu sehr in der Gegenwart, als dass Gewesenes darüber hätte bestimmen können, was war.

„Du musst in die Mitte der Menschen schauen können“, flüsterte er Bijou manchmal zu mit einem beschwingten Glucksen in der Stimme, wenn sie wieder einmal in einem dornigen Graben lagen, zur Unsichtbarkeit verschmolzen mit der Dunkelheit des Bodens, und ihre Verfolger aufgebracht an ihnen vorbeiliefen, „denn wenn du ihre Innenseite betrachten kannst, dann siehst du sofort, wie einfältig sie sind.“

Die Peul waren Nomaden, gefürchtet wegen ihres behänden Umgangs mit dem Messer und bewundert für ihre Schönheit. Auf der Suche nach den besten Weiden zogen sie in großen Gruppen durch den Sahel, mit ihren Tieren, ihren Zelten, ihren Ledersäcken, Matten, Kalebassen, Bettstangen, Frauen und Kindern. Sesshaft zu sein, das war etwas für Steine, fanden sie, den Boden bearbeiten und Wasser aus tiefen Brunnen ziehen und Getreide anpflanzen, das sollten andere machen, Kreaturen, die für solche Mühsal geschaffen waren, aber nicht sie, da war das Land einfach zu karg, als dass man ihm etwas abringen hätte können, ohne sich selbst zu schinden wie ein N’Dama-Rind, und wer würde so etwas denn wollen wollen.

Doch auch wenn sie Ackerbau als niedrige Tätigkeit ansahen und die Stämme verachteten, die damit ihr Leben verbrachten: Sie waren der Meinung, dass die Erträge dieser Arbeit allen gleichermaßen zustanden, also auch ihnen. Was die Erde hergab, war für jeden, der Boden gehörte schließlich nicht denen mehr, die darin herumwühlten, als denen, die auf ihm wanderten, und deshalb konnte man sich von seinen Erträgen nehmen, so viel man wollte, wer auch immer der staubigen Trockenheit diese Erträge abgerungen hatte. Wo die Peulkarawanen auftauchten mit ihren Kamelen, ihren Rinder-, Schaf- und Ziegenherden, wurden die Vorratshütten bewacht und die Mädchen weggesperrt, die Hühner in die Hütten gescheucht und die Werkzeuge an die Gürtel geschnallt.

Nur selten gaben sie eines ihrer Tiere her im Tausch gegen Getreide, und wenn, dann konnte man sicher sein, dass es sich um ein Exemplar handelte, dessen Lebenszeit so gut wie abgelaufen war aufgrund einer für einen unbedarften Ackerbauern nicht erkennbaren Krankheit oder wegen allgemeiner Hinfälligkeit, und das Fleisch dieses Tieres so ledrig war, dass es nur mehr verzehrt werden konnte, wenn man es trocknete und danach in dünne Streifen schnitt, und selbst dann nur von Menschen, die das Glück hatten, zumindest in einer ihrer Backen noch alle Mahlzähne zu besitzen, und die in gutem Zustand.

Die Peul fühlten sich als Herrscher des Sahel. Kein Gesetz konnte ihr Denken einengen, keine Ordnungsmacht sie einschüchtern, kein Zorn ihnen Angst machen, das Dasein war für sie ein ständiges Nehmen und Nehmen. Sie heirateten nur untereinander und blieben auch sonst am liebsten unter sich, und so konservierten sie die Besonderheiten ihres Volkes, die golden schimmernde Haut, die heller und feiner war als die der anderen Stämme, die langen, geraden Nasen, durch die ihre Gesichter wirkten wie die von Europäern oder Arabern, dazu die stolzen Augen, die stattliche Größe und den hohen Gang. Wo auch immer ein Peul einen Markt betrat oder ein Dorf, er trug eine Ahnung von Angst und Ehrfurcht vor sich her.

Wie lange auch irgendetwas schon existieren mochte auf der Welt, gaben die Alten an die Jungen weiter, wir Peul sind in jedem Fall schon vorher da gewesen. Verbrecher und Lumpenpack nannten die anderen Stämme die Peul, aber nur, wenn sie sicher waren, dass keiner der Peul sie hören konnte.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Müry Salzmann
Herbert Sklenka: Chamäleonhimmel. Roman. Verlag Müry Salzmann, Salzburg 2017. 208 Seiten, 19 Euro – www.muerysalzmann.at
 

 

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