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Von zweien Welten musst du eine wählen

BUCHBESPRECHUNG / MARIE VON EBNER-ESCHENBACH / LESEAUSGABE

21/10/14 „Rindfleisch mit Meerrettich. Meerrettich mit Rindfleisch. Meerrettich.“ Oder: Roastbeef au Jus mit Kartoffel. Jus mit Roastbeef. Kartoffel-Purée.“ Damit rechnet man nicht. Zwei „Speisezettel“ – und schon ist der noch unbekannte literarische Schauplatz als kulinarische Wüste abgestempelt. Dafür die Segnungen des Moorbades!

Von Heidemarie Klabacher

„Leser! Die Empfindung, die einen im Moorbade überkommt, ist ein mit Grauen gemischtes Entzücken, dem ein Gefühl fast übermütigen Wohlbehagens folgt. Ich habe mich immer in respektvoller Entfernung von allen denjenigen gehalten, die eben moorgebadet hatten, nicht etwa, daß sie an Gesicht oder Händen die Spuren des dunklen Elementes trügen, dem sie entstiegen, nein! Neben der Wanne mit spartanischer Suppe steht ja eine zweite, mit Wasser gefüllte, in welcher die schwarzen Erinnerungen an die erste getilgt werden; ich bin darum nicht gerne in ihre Nähe gekommen, weil sie sich gewöhnlich in einem Zustande exaltierten Wohlseins befinden, der nachgerade unheimlich werden kann. Auf zarte Frauen macht ein solches Bad die Wirkung einer Oper der Zukunft, oder eines kleinen Champagner-Rausches, was ungefähr dasselbe sein Soll. Sie werden heiter, selig, verklärt, sentimental, - schwärmen von verborgenen Veilchen und leuchtenden Sternen, vom letzten Balle und der ersten Liebe, fühlen sich in Arkadien geboren, gehen nicht mehr, sondern hüpfen spazieren, singen die Große Arie aus Robert, deklamieren, ja verfertigen Gedichte: was denn in den meisten Fällen ein Unglück ist.“

Da schlägt man also den ersten Band der insgesamt vierbändigen neuen Leseausgabe der Werke von Marie von Ebner-Eschenbach auf und hat sich prompt fest gelesen. In Franzensbad. An diesen Ort binden einen – im Falle von Marienbad wäre das ganz anders - auffallend wenige literarische Beziehungsfäden. „Es ist zum Verzweifeln. Nach Franzensbad! Ein Ort ohne Gegend…“ Jedenfalls landen „die Gnädigste“ und ihre deren Leserin 156 Jahre nach dem anonymen Erscheinen der fiktiven Brief-Satire „Aus Franzensbad. Sechs Episteln von keinem Propheten“ eben dort: In Franzensbad.

Und zwar in einer Anwendung, genauer in der Schilderung der Folgen des Moorbades. Freilich wird der Mensch, zumindest „die Gnädigste“ auch aus diesen Himmeln verstoßen: „Dieser Vorgeschmack des Himmels dauert bis zur Essenszeit, da verwandelt sich die überströmend selige Empfindung in eine kontemplativ sinnend. Essenszeit! Der Magen hat längst Mittagsstunde geschlagen, wo und wie soll der vortreffliche Appetit gestillt werden, den man dem Moorbade verdankt? – „Kursaal oder Post“ – lautet die ewige, trostlose Antwort, welche Sie in Franzensbad auf diese Frage erhalten.“ Und hier folgt die Einrückung obiger Speisezettel des Kursaals und der Post.

Was wissen wir über die Autorin? Marie von Ebner-Eschenbach. Krambamuli, rührende Hundegeschichte. Große Dame der Österreichischen Literatur mit untadeliger Lebensgeschichte. Ruhender Pol in den Regalen ungelesener Bücher.

Das stimmt so überhaupt nicht nicht! Tatsächlich hat Marie von Ebner-Eschenbach ihre Biographie auf Hochglanz poliert und, wie der alte Goethe in „Dichtung und Wahrheit“, alle Unebenheiten bereinigt und der Nachwelt ein ebenso rundes wie eindimensionales Bild von sich selbst hinterlassen. Tatsächlich wäre man nie auf die Idee gekommen, Marie von Ebner-Eschenbach mit beißender Satire und scharfer Gesellschafts- besonders Adels-Kritik, in Verbindung zu bringen.

Die Salzburger Germanistin Ulrike Tanzer, eine der Herausgeberinnen der neuen Eschenbach-Leseausgabe, schreibt in ihrem detailreichen und spannenden Vorwort: „Erst durch die Veröffentlichung der Originaltagebücher – Marie von Ebner-Eschenbach schrieb wie Arthur Schnitzler über fünfzig Jahre lang täglich Tagebuch – wurde sichtbar, wie groß der Unterschied zwischen den ‚authentischen Aufzeichnungen und den zensierten bzw. selbstzensierten Tagebuch-Auszügen ist.“

Die neue vierbändige Leseausgabe sei, so Tanzer, „der Versuch, bekannte Texte Ebner-Eschenbachs neu zu beleuchten und mit weniger bekannten Werken in Verbindung zu setzen.“ Das ist bereits im ersten Band brillant gelungen. Das Vorwort wirft nicht nur ein neues Bild auf die „Grande Dame“, sondern es setzt deren Biographie in spannende und spannungsvolle Beziehung zur sozialen und politischen Realität ihrer Lebenszeit. Dazu kommt ein bewegender Blick auf Ebner-Eschenbachs ebenso spannungsvolle „Doppel-Rolle“ als Frau und Autorin in einer aristokratischen Umgebung.

Aus dem Ebner-Eschenbach'schen Werk wurden für den ersten Band ausgewählt die 1858 anonym publizierte Satire „Aus Franzensbad. Sechs Episteln von keinem Propheten“ und die 1887 veröffentlichte Dorfgeschichte „Das Gemeindekind“. Zu dieser Auswahl sagt die Mitherausgeberin Ulrike Tanzer: „Beide Texte zeigen Ebner-Eschenbachs genauen Blich auf die Gesellschaft der Epoche Kaiser Franz Josephs, mit dem sie die Lebensdaten (1830 – 1916) teilt, auf politische Bruchlinien, soziale und ästhetische Fragen.“

Evelyne Polt-Heinzl, Daniela Strigl und Ulrike Tanzer (Hg.): Marie von Ebner-Eschenbach. Aus Franzensbad. Das Gemeindekind. Leseausgabe in vier Bänden. Band 1. Residenzverlag St. Pölten/Salzburg/Wien 2014. 352 Seiten, 24,90 Euro - der zweite Band mit den Eschenbach-Texten „Lotti, die Uhrmacherin“ und „Unsühnbar“ ist am 15. Oktober erschienen - www.residenzverlag.at

 

Präsentiert wird die neue Marie von Ebner-Eschenbach-Leseausgabe am 22. Oktober um 19 Uhr im Lesesaal der Wienbibliothek - 1010 Wien, Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6. Es liest Gerti Drassl.

 

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