Im stylishen Gefängnis
GRAZ / DIAGONALE / DER KAMERAMÖRDER
17/03/10 Das Haus am See und im Schilf spielt alle Stückerln, es ist durchgestylt und durchdesignt, wie aus dem Musterkatalog eines Zeitgeist-Magazins. Und die Menschen, die hier leben? Nach außen hin entsprechen auch sie hundertprozentig den Vorgaben unserer Zeit.
Von Reinhard Kriechbaum
Scheinbar ist die Wochenend-Einladung eines Ehepaars ja wirklich nur ein Auffrischen von Freundschaft – doch die Dinge geraten augenblicklich aus dem Lot: Drei Kinder in der Nachbarschaft sind verschwunden, dafür ist ein Gewaltvideo aufgetaucht. Hat einer der beiden Männer unmittelbar mit der Sache zu tun? Man ist eingepfercht in der Luxus-Architekturschachtel und traut sich zugleich einander nicht über den Weg...
Robert Adrian Pejos Film „Der Kameramörder“ fußt auf dem gleichnamigen Roman von Thomas Glavinic. Er war am Dienstag in Graz zur Diagonale-Eröffnung erstmals in Österreich zu sehen.
Mag sein, dass man etwas enttäuscht ist von dem Plot - gerade jetzt, da das Reden über Kindesmissbrauch an der Tagesordnung ist. Aber der Kindesmissbrauch ist eben nur eine Facette der Geschichte (eine, die relativ undeutlich bleibt). Was entscheidender ist: der Umgang der vier Protagonisten miteinander. Ist das Wenig-voneinander-Wissen nicht zeittypisch, reichen nicht schon kleine Verunsicherungen von außen, um scheinbaren Gleichklang in grelle Dissonanz zu verwandeln? Wahrscheinlich sind diese Leute über Facebook und Twitter untadelig miteinander vernetzt, wogegen schon die Gänseleberpastete auf dem österlichen Frühstückstisch soziales Krisenmanagement in der Kleingruppe erfordert.
Was eigenartig ist: So sehr uns die Geschichte aufrütteln sollte, bleibt sie eigenartig fern. Vielleicht liegt es an einer Gemenelage aus allzu gewollt wirkendem schauspielerischen Perfektionismus und nicht minder absichtsvoll-virtuos anmutendem Umgang mit Thrill? Da kostet der Regisseur alle kleineren und größeren Tricks aus, er dreht permanent an der Spannungsschraube. Auch das wirkt stylish. Und so präzis die schauspielerischen Psychogramme sind, sie kratzen den Betrachter eigentlich wenig.
Andreas Lust ist der offensichtliche Fiesling in der Gruppe – er hat am Dienstag einen der (erstmals zwei) Schauspielerpreise (à 3.000 Euro) der Diagonale entgegen genommen. Damit wird traditioneller Weise vorab ein „Gesicht“ des jeweiligen Filmfestivals gekürt. Im „Kameramörder“ und in Benjamin Heisenbergs „Die Räuber“ ist Lust prominent vertreten. In den „ Räubern“ ist auch Franziska Weisz, die zweite Preisträgerin, zu sehen.
Klaus Maria Brandauer erhielt den Großen Diagonale-Preis – verbunden mit einer Skulptur der österreichischen Licht-Künstlerin Brigitte Kowanz. Er hat sich launig bedankt für die – übrigens erste – Film-Auszeichnung, die er in Österreich erhalten hat: Vor 21 Jahren – als 46jähriger (!) - habe er in Deutschland die „Goldene Kamera“ für sein Lebenswerk erhalten. Er sei „unheimlich froh, dass man in meiner Heimat den Anstand – und gewartet hat“ mit einem solchen Preis.
Diagonale-Leiterin Barbara Pichler nutzte die Eröffnung für Gedanken über die Funktion eines Filmfestuivals wie diesem. Unter anderem bereite es für die vielen kleineren Filme, die sonst überhaupt keine Chance hätten, in die Kinos – nicht mal in die Programmkinos – zu kommen, den Weg. Auch den „Event“ will Barbara Pichler von einem solchen Festival nicht ferngehalten wissen, denn gerade die erfolgreichsten Filme brächten den Sog, der das Publikum auch auf manch anderes neugierig machte. Spontanen Beifall gab es für Pichlers Satement, bei der Umstellung auf digitale Projektionstechnik sei, besonders bei den kleineren Kinos, ein Beitrag der öffentlichen Hand gefragt.