Mit Handyvideos zurück in die Realität
FILMKRITIK / DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS
10/01/25 Wer im Iran einen regimekritischen Film dreht, riskiert ein Berufsverbot und eine Gefängnisstrafe. Mohammad Rasoulof wurde nach dem Gewinn des Goldenen Bären für seinen Film Doch das Böse gibt es nicht (2020) bereits zu einem Jahr Haft und einem zweijährigen Berufsverbot verurteilt.
Von Andreas Öttl
Umso bemerkenswerter ist, dass er es geschafft hat, im Verborgenen und mit Geld aus dem Ausland einen weiteren Film zu drehen, welcher mindestens ebenso stark ist: Die Saat des heiligen Feigenbaums. Der Film ist – nach der Flucht des Regisseurs aus dem Iran und der Aufsehen erregenden Premiere in Cannes – nun in ausgewählten heimischen Kinos zu sehen. Zudem wurde der Film vom Ko- und Postproduktionsland Deutschland als Kandidat in der Kategorie „Bester Internationaler Film“ nominiert. Eine verständliche Geste nicht nur aufgrund der politischen Brisanz des Films, sondern auch aufgrund dessen unbestreitbarer künstlerischer Qualität. Dem deutschen wie auch dem österreichischen Kino ist es schon lange nicht mehr gelungen, gesellschaftspolitische Themen auf so elegante und vielschichtige Weise zu behandeln.
Nicht zuletzt aufgrund der notwendigen Einschränkungen bei der Produktion verhandelt Mohammad Rasoulof das Politische über das Private und veranschaulicht die aktuelle Situation in seinem Land anhand der Geschichte einer Familie. Der strenggläubige Familienvater Iman ist Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran. Als nach dem Tod einer jungen Frau (der kurdisch stämmigen Jina Mahsa Amini in Teheran am 16. September 2022) eine riesige Protestwelle das Land ergreift, entscheidet sich Iman für die Seite des Regimes und bringt damit das Gleichgewicht seiner Familie ins Wanken. Seine Töchter sind von den Ereignissen schockiert. Seine Frau versucht verzweifelt, alle zusammenzuhalten. Als Iman feststellt, dass seine Dienstwaffe verschwunden ist, verdächtigt er als Erstes seine Familie und sorgt damit für eine Eskalation der Situation.
Die Saat des heiligen Feigenbaums ist trotz der schwierigen Produktionsbedingungen ein kraftvoller und auch formal interessanter Film. Beginnt die Geschichte anfangs noch als reduziertes Familiendrama, das vor allem in Innenräumen stattfindet, wechselt sich im dritten Akt, der beinahe wie ein Thriller inszeniert ist, der Schauplatz. Die weite, unberührte iranische Hinterlandschaft wird für eindrucksvolle Bilder genutzt. Für die eigentliche Spannung des Films sorgen aber die Dynamiken innerhalb der Familie – selbst, wenn es nur unter der Oberfläche brodelt. Vor allem anhand der von Soheila Golestani großartig gespielten Figur der Mutter zeigen sich die inneren Konflikte zwischen den von Traditionen geprägten gesellschaftlichen Konventionen und dem zunehmenden Verständnis für die rebellische junge Generation, welche durch die beiden Töchter repräsentiert wird.
Was Die Saat des heiligen Feigenbaums zu einer tief berührenden, weit über ein spannendes Stück Kino hinausgehenden Filmerfahrung macht, ist die Integration zahlreicher Handyvideos. Sie dokumentieren die realen Proteste, die auf den durch Polizeigewalt herbeigeführten Tod von Jina Mahsa Amini folgten. Immer wenn man den Eindruck gewinnt, der Film stelle vor allem das persönliche Schicksal der Figuren in den Vordergrund oder wenn bei Regisseur Mohammad Rasoulof plötzlich die Lust an der kunstvollen Inszenierung durchkommt, holen einen diese Bilder auf schmerzliche Weise in die politische Realität zurück. Dass diese Kombination mehrerer Ebenen insgesamt so stimmig ist und der Film niemals wie ein politisches Lehrstück wirkt, zeugt von der großen Sensibilität des Regisseurs nicht nur für das Thema, sondern auch in Bezug auf sein Publikum.
Am Sonntag (12.1.) im Salzburger Filmkulturzentrum Das Kino – www.daskino.at
Bilder: Alamode Film