Von Königgrätz nach Salzburg
FEUILLETON
05/08/11 Sie hießen nicht nur Trapp, sondern – zum Beispiel – auch Honsig-Erlenburg: Leute, die als Militärs oder Beamte treu dem Kaiserhaus dienten und sich am Lebensabend in Salzburg, damals noch nicht Festspielstadt, hier ansiedelten. – Zu Besuch in einer Villa in Aigen, wo die Wände Geschichte atmen.
Von Heidemarie Klabacher
Johannes Honsig-Erlenburg, Präsident der Stiftung Mozarteum, runzelt die Stirn. Den Habsburgerrummel rund um die Beerdigung des letzten Kronprinzen habe er mit Skepsis, ja einigem Zorn verfolgt. „Unbenommen der großen Verdienste Otto Habsburgs um Europa, wo bleibt die ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Epoche.“ Honsig-Erlenburg führt durch jenes Haus, in dem er aufgewachsen ist, eine Villa im Italienischen Stil nach Plänen des Urgroßvaters, gebaut von Stadtbaumeister Wagner im Jahr 1906: Ruhesitz einer jener Familien, die loyal und kaisertreu bis zuletzt den Betrieb der untergehenden Monarchie aufrechterhalten haben. „Gehabt haben sie nichts davon.“
„Ungefähr zehn“ solcher Familien hatten sich in Salzburg niedergelassen. Sein Ahn habe damals zwischen Görz und Salzburg gewählt und sich für Salzburg entschieden. Eine andere Familie waren die Lambergs, einer von ihnen war im 19. Jahrhundert als Landeshauptmann von Salzburg tätig. Sie besaßen eines der Schlösschen an der Hellbrunnerallee. Die Familie Miller-Aichholz hatte eine Villa in der Nonntaler Hauptstraße.
Doch zurück nach Aigen, in die Villa der Honsig-Erlenburg. Von der bröckelnden steinernen Terrasse - mit den rostigen Stühlchen und den ebenfalls bröckelnden Betonguss-Löwen der Gartenbank („Von Ceconi sind die, er war einer der ersten, die diese Technik industriell beherrschten“) - blickt man hinein in das Speisezimmer. Unvorstellbar, dass dort je etwas anderes serviert worden sein könnte als Nudelsuppe, Tafelspitz und Kirschknödel. Wie an der Tafel des Herrn Bezirkshauptmann Franz Freiherrn von Trotta und Sipolje aus dem Roman von Joseph Roth. Diese literarische Atmosphäre beschreibt auch Johannes Honig-Erlenburg: „Alles hier trägt geballt in sich die Bezüge zur Monarchie, erinnert eins zu eins an den Roman ‚Radetzkymarsch’.“
Die Waffen und Uniformhelme auf grün-rupfenem Grund im Stiegenhaus, der „Hofkalender 1907“ wie selbstverständlich auf einem Tischlein im Eck - das sind nur Details. Die Atmosphäre kommt aus den Wänden. Die Einrichtung, die Bilder an den Wänden wirken, als habe niemand im vergangenen Jahrhundert auch nur ein Ausstattungsstück verrückt.
A propos Bilder: Eine „Mona Lisa“-Kopie hängt im Treppenhaus, einige Repliken von Bildern von Velasquez und anderen. Jurist oder Offizier war man traditionellerweise in seiner Familie, so der Rechtsanwalt, Stiftungspräsident und Organist. „Aber man war immer mehr der Muse zugetan.“ In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte man dafür Zeit , „da war ja die Ruhe vor dem Sturm.“ Mehr oder weniger begnadete Maler waren die Vorfahren. Bis zum letzten Zentimeter ist das Treppenhaus mit ihren Bildern voll gehängt. „Das war damals der Mittelpunkt, wo man sich die Eindrücke aus fremden Ländern ins Haus geholt hat.“
Für ihn sei die greifbare Vergangenheit eine Möglichkeit, sich immer wieder kritisch mit der Zeit der untergehenden Monarchie zu befassen, erzählt Johannes Honsig-Erleburg. Er selbst hadere aus historischem Blickwinkel „zutiefst mit der Unfähigkeit der Habsburger, mit Veränderungen umzugehen“.
Seine Familie sei den Habsburgern "wohl mit großer Loyalität" verbunden gewesen. Sein Ur-Urgroßvater, schon in eine Offiziersfamilie hineingeboren, habe bei Solferino gekämpft (auch wenn er nicht, wie der Hauptmann Trotta im Roman von Joseph Roth, dem Kaiser das Leben gerettet hat) und dann noch einmal bei Königgrätz. Dort sei er zwar nicht gefallen, aber bald nach der Schlacht an den Folgen seiner schweren Verwundungen gestorben.
Der Urgroßvater, Militärkommandant in Brünn und ebenfalls dem Kaiser ergeben, ist aus Altersgründen dem Ersten Weltkrieg widerwillig entkommen: "Er war schon pensioniert." Dieser Urgroßvater habe sich im Ruhestand schließlich in Salzburg niedergelassen. Der Großvater Honsig-Erlenburgs hat an der Dolomitenfront gekämpft: „Eines der grauenhaftesten Kapitel des Ersten Weltkriegs.“
Was den Nachfahren anno 2011 am Habsburger-Hype ärgert: Weder die ehemalige Kaiserfamilie, „auch nicht Otto Habsburg selbst“, und auch nur wenige Historiker hätten sich je mit dem "System" der ausklingenden Monarchie auseinandergesetzt, sagt Johannes Honsig-Erlenburg. "Kein Wort des Mit-Bedauerns über die Vielzahl der loyalen und treuen 'Untergebenen', die - pointiert gesagt - auf dem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs geopfert wurden."
Warum jetzt die Einladung in das beinahe klösterlich stille, vom Zahn der Zeit angenagte Anwesen wie aus einer anderen Zeit? „Man darf so etwas nicht für sich allein vereinnahmen. Man muss, zumindest symbolisch, das Haus auch einmal öffnen“, sagt Johannes Honsig-Erlenburg. Deshalb hat er jüngst Mitglieder des Vereins der Freunde des Salzburg Museums eingeladen - die sich denn auch mit aller gebotenen Zurückhaltung bei größtem Interesse in dem ein wenig verstaubten Kleinod umschauten.
Der stark gewölbte Boden zwischen dem zentralen Speisezimmer und dem „Parscher“ bzw. dem Aigner Salon („Weil links Parsch liegt und rechts Aigen“), über den nun vorsichtig die Gäste tasten, „war schon immer eine Berg- und Tal-Bahn“, erinnert sich Honsig-Erlenburg. Das Haus sei nicht unterkellert, 1906 war man beim Estrich nicht sorgfältig genug.
Auch Nachbarn sind gekommen, sehen das Haus zum ersten Mal von innen. „Die Hühner?“ Johannes Honsig-Erlenburg schmunzelt auf die Bemerkung einer Dame: „Nein, die Hühner sind nie im Suppentopf gelandet, das hätten wir nie übers Herz gebracht. Die sind langsam an Alterschwäche weggestorben.“
Die vielen winzigen Palmen-Ableger in Topfen auf der Terrasse fallen auf: Sie stammen in direkter Linie von der Palme, die der italophile Urgroßvaters in Aigen heimisch gemacht hat: „Italien ist immer sein Sehnsuchtsort geblieben. Die Palmen werden seither weitergezüchtet. Das geht ganz leicht.“