Berggeist als Psychotherapeut
LANDESTHEATER / DER ALPENKÖNIG UND DER MENSCHENFEIND
23/11/15 Das waren noch Zeiten! Es gab noch keine Buchpreisbindung und dennoch konnte ein Buchhändler zu großem Reichtum kommen, zu einem stattlichen Landgut mit einer Schar von Bedienten. Wann das war? Vor fast zweihundert Jahren.
Von Werner Thuswaldner
Aber die Erfüllung des Strebens nach Glück war das damals dennoch nicht. Der Buchhändler mit dem sprechenden Namen Rappelkopf, den Ferdinand Raimund in seinem „romantisch-komischen Original-Zauberspiel“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, schildert, gebärdet sich wie ein extremer Psychopath. Buchhändler sind doch in der Regel friedfertige Menschen. Wohl kaum einer würde sein Gartenhäuschen demolieren und in den Wald laufen, wo er einer Köhlerfamilie deren Hütte ablöst, um da sesshaft zu werden.
Ferdinand Raimund zaubert nicht bloß mit Märchenversatzstücken, er verstand auch viel von Seelenkunde.Das Stück wird gern aufgeführt und darf meist jeweils dichte biedermeierliche Atmosphäre verbreiten. Damit hat Alexandra Liedtke, die Regisseurin der Salzburger Neuinszenierung, die am Samstag (21.11.) im Landestheater Premiere hatte, nichts im Sinn. Märchen und Zauberei haben aber auch für sie nicht ausgedient. Darauf stimmen gleich zu Beginn auf der finsteren Bühne Tierlaute und heftige Aktivitäten von offensichtlich überirdischen Wesen ein. Bühnenbildner Raimund Orfeo Voit zeichnete aus grellen Leuchtstoffröhren eine markante Gebirgslandschaft auf den schwarzen Hintergrund. Später wird, weil von Venedig die Rede ist, eine Gondel auf die Bühne gezogen. Wie die Alpenüberquerung gelungen ist, bleibt offen. Es ist aber nicht erforderlich, dass wir ganz tief in dieser Welt versinken, ironische Distanz ist jederzeit möglich.
Als Chef in der Geisterwelt tut sich Astragalus hervor. Marcus Bluhm betont in dieser Rolle, angezogen mit goldener Jacke und breitkrempigem Hut, immer wieder mit Pathos in der Stimme, dass er der „Alpenkönig“ sei. Als solcher nimmt er sich einer verkorksten Familie an. Die steckt tief im Unglück, weil sich der oben erwähnte Buchhändler höchst absonderlich benimmt. Er leidet unter Verfolgungswahn und glaubt, seine Frau und seine Tochter, aber ganz besonders auch die Dienerschaft hassen zu müssen. Christoph Wieschke macht ihn sofort als durchgeknallten Ekeltypen kenntlich. Er rast, verteilt falsche Beschuldigungen und verhält sich so widerlich, wie es nur geht. Kein Erbarmen hat er für seine Tochter Malchen – treuherzig und geradlinig spielt Nikola Rudle eine aufrichtig Liebende –, die doch nichts anderes will, als den Maler August zu heiraten. Was ist gegen den einzuwenden? Er gibt sich redliche Mühe, in der Malerei besser zu werden und geht, wie Hanno Waldner als August beweist, auch regelmäßig ins Fitnessstudio.
Seine Frau behandelt Rappelkopf schlecht. Warum denn? Wenn die Frisur der Frau so aussieht, als wären die Haare soeben den Lockenwicklern entkommen, muss man sie doch nicht gleich hassen! Gut, Britta Bayer wirkt ein wenig herb, wie sie diese Rolle anlegt, aber sie macht glaubhaft, dass es die reine Qual ist, mit einem solchen Menschen zusammenzuleben. Die Dienerschaft leidet auch, weshalb sie die Regisseurin zu einer Protestaktion anleitet, samt Sprechchor und hochgereckten Tafeln.
Bei aller Absage an biedermeierliche Sentimentalitäten legt Alexandra Liedkte doch großen Wert, das Besondere an Raimunds Dichtung herauszuarbeiten: die Analyse der schweren psychischen Krise, unter der Rappelkopf leidet. Seine Angehörigen wissen, dass er krank ist. Raimund wusste aus eigener Erfahrung, wie sich das anfühlt. Und wie therapeutisch anzusetzen ist, wusste Raimund achtzig Jahre vor Freud auch. Der Alpenkönig wird zum Seelendoktor. Er verwandelt sich selbst in einen Doppelgänger Rappenkopfs, so dass der von außen erkennen kann, wie verrückt er sich allen anderen gegenüber aufführt. Die szenische Demonstration der Redensart „jemandem den Spiegel vorhalten“ wird ausführlich zelebriert und die Besserung Rappelkopfs plausibel gemacht.
Den Auftritten der Dienerschaft, die eine Menge Komik beisteuert, hat sich die Regisseurin ausgiebig gewidmet. So gewinnt Georg Clementi in der dankbaren Rolle des Dieners Habakuk wie selbstverständlich die Sympathien des Publikums, das die Entlarvung der immer wiederkehrenden Behauptung dieses überkorrekt auftretenden Dieners, wonach er zwei Jahre in Paris gewesen sei (in Wirklichkeit war es Stockerau), genießt. Wem man viel eher abnehmen würde, tatsächlich in Paris gewesen zu sein, ist die Dienerin Lischen. Denn die temperamentvolle, wandlungsfähige Sofie Gross setzt zwischendurch zu einem Chanson an, das authentisch klingt. Im großen Ensemble profilieren sich – und das in Doppelrollen - aber auch noch Axel Meinhardt, Walter Sachers und Nina Steils.
Die Inszenierung hat keinen ausgeprägt wienerisch-österreichischen Charakter. Man spricht vorwiegend „deutsch“. Kräftige Dialekteinsprengseln – sie kommen vor allem von dem Südtiroler Georg Clementi – kommen aber auch vor. Der „Entbiedermeierisierung“ ist auch die ursprüngliche Musik Wenzel Müllers zum Opfer gefallen. Für den Sound sorgen stattdessen zwei zeitgemäße Musiker, deren Beschäftigung, vor allem wenn sie Soli zum Besten geben dürfen, ein wenig den Eindruck einer Sozialmaßnahme macht.
Das Publikum kam mit der vielen Klischees erfolgreich ausweichenden Inszenierung sehr gut zurecht.