Vers- und Stelzfuß
SCHAUSPIELHAUS / EINE ODYSSEE
02/06/15 Da müssen sich die armen Jugendlichen fast zwei Stunden lang gestelzte Verse anhören – und haben am Ende nicht einmal die Story richtig erzählt bekommen! Dass es „Eine Odyssee“ aus der Feder des niederländischen Autors Ad de Bont auf die Bühne des Schauspielhauses geschafft hat, ist unbegreiflich. Stand doch in dieser Spielzeit mit „Odysseus, Verbrecher“ von Christoph Ransmayr eine hervorragende Adaption des Stoffes auf dem Spielplan.
Von Heidemarie Klabacher
Die Aufführung ist soweit untadelig: Simon Ahlborn ist ein recht junger, aber „cooler“ Odysseus, der seine verzweifelten Anwandlungen richtig dosiert. Er kommt auch mit den niederländisch-deutschen Vers-Schmiedarbeiten souverän zu recht.
Alle weiteren Rollen – Menschen, Nymphen, Götter – teilen sich in der Regie von Christoph Batscheider Betty Bauer, Eva-Maria Weingärtler, Marena Weller, Jonas Breitstadt, Sebastian und Martin Rehm. Sie alle agieren mit soviel Schwung und Elan, wie ihnen das Aufsagen sperriger Verse erlaubt, und das ist gar nicht wenig. Ihnen allen ist Respekt zu erweisen.
Junge Schauspielerinnen und Schauspieler müssen auch mal gebundene Sprache üben (passiert eh meist zu wenig). Aber warum um der Menschen und Götter willen, dürfen sie das nicht anhand eines richtigen Klassikers tun? Warum müssen sie mit nachgeäfften gestelzten Phrasen ohne literarischen Wert kämpfen: „Jetzt sagt die herrische Tochter, was tun und was lassen“, klagt Zeus, dem das Töchterlein Athene auf der Nase herumtanzt, „an den Füßen die goldenen Sandalen“. „Sind mein Sohn und mein Bett besudelt durch geile Begierden?“, muss der arme Odysseus fragen. „Einen Helden erwartete ich als Vater“, gibt sich Telemach enttäuscht. Kein Wunder: Am Ende gibt es kein Massaker unter den Freiern, Odysseus „begnadigt“ den frechen Antinoos, der in dieser Fassung nicht einmal frech sein darf, sondern die alternde Penelope ganz aufrichtig liebt.
„Du hast in der Schule auch nicht oft aufgepasst“, möchte man dem Autor seine eigenen Worte an den Kopf werfen. Solchermaßen angeschnauzt wird aber der junge Telemach, weil ihm Athene unbekannt ist: Unmotivierte Einsprengsel in heutiger Umgangssprache machen die Sache nicht erträglicher. Zumal der Autor mit dem Stoff nicht frei, sondern willkürlich umgeht.
Nausikaa ist zur doofen Partyzicke mutiert. Telemach wird die Bogenprobe vorschlagen. Poseidon taucht auf (der ja vor allem Schuld ist an den „Irrfahrten“ des Odysseus) und provoziert mit viel Palaver einen Zweikampf mit Zeus (der ja nach dem Götterrat die Heimkehr des Odysseus erlaubt hat). Dass Agamemnon immer wieder herbeizitiert wird zeugt wenigstens davon, dass der Autor weiß, wer seinerzeit die Griechen gegen Troja geführt hat. Ob das dazu beiträgt, einem jungen Publikum das lieblos zerlegte, lieblos zusammengeflickte und aller Poesie beraubte Epos ans Herz zu binden?
Irgendwer deklamiert gegen Ende: „Mein Geist ist ganz in Erstaunen verloren.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.