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Hohe Begabung für das Unglück

SCHAUSPIELHAUS / DER KIRSCHGARTEN

08/05/15 „Der Kirschgarten“ im Schauspielhaus erweist sich als eine erstaunlich gelungene Unternehmung, dank einer feinfühligen Inszenierung und einer rollendeckenden Besetzung. Regisseurin Esther Muschol zeichnet die Charaktere mit Einfühlungsvermögen.

Von Werner Thuswaldner

Anton Tschechow, von Beruf Arzt, ist 1904, ein halbes Jahr nach der Uraufführung seines Stücks „Der Kirschgarten“ an TBC gestorben. Die Konsequenzen der schmerzvollen Zeitenwende, die Ablöse einer Gesellschaft durch eine neue, hat er nicht mehr erlebt. Mit der Tatsache, dass er darauf beharrte, das Stück als Komödie zu bezeichnen, taten sich die Leute vom Theater immer wieder schwer. Was soll an den scheiternden Lebensläufen, die einem vorgeführt werden so lustig sein? Triefen die vier Akte nicht vor Wehmut und Sentimentalität? Große Regisseure haben sich immer wieder mit dieser Frage herumgeschlagen. In jüngerer Zeit waren dies unter anderen Peter Zadek, Peter Stein und Andrea Breth.

Ja, ja, es kann beklemmend sein zuzuschauen, wie Menschen, die sich der Realität verweigern und sich an Illusionen klammern, zugrunde gehen. Selber schuld, kann man denken. Die Gutsbesitzerin Ranjewskaja wirft halt einmal das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinaus und verlässt das Gut, um den Rest mit einem zweifelhaften Geliebten in Paris durchzubringen. Und Gajew, ihr Bruder ist ohne Zweifel ein schwatzhafter Dummkopf, die personifizierte Unfähigkeit. Daher haben sie in der neuen Zeit, die herauf kommt, keinen Platz und sind nicht in der Lage, das Gut zu halten.

Die große Beliebtheit des Stücks rührt daher, dass Tschechow die verschiedenen Typen der Gesellschaft ganz genau kannte, ihre Leidensfähigkeit, ihre Naivität, ihre Bösartigkeit. Ohne überhöhte Bühnensprache schuf er plastische Porträts. Es gibt noch und noch Gelegenheit, denkwürdige Charaktere zu gestalten, denn bunter könnte das Personal, das sich auf dem Gut wie auf einem untergehenden Schiff zusammenfindet, nicht sein. Sie haben teils ausgeprägte Macken und sind komisch wie Lustspielfiguren.

Regisseurin Esther Muschol zeichnet sie in ihrer Inszenierung im Schauspielhaus durchwegs mit großem Einfühlungsvermögen. Sie ergreift für keine der beiden Seiten, nicht für die Vertreter der alten Zeit, noch für jene, die erkennen, dass Tüchtigkeit und Arbeit eine Wende bringen werden, eindeutig Partei. Sie wirbt um Verständnis für jeden und jede in der aktuellen gesellschaftlichen Situation. Die Ausstattung (Georg Lindorfer, Bühne, und Elke Gattinger, Kostüme) schafft durchaus jene Atmosphäre, in der sich der der Abgesang auf eine überkommene Zeit entfalten kann.

Hervorzuheben ist vor allem, dass es durchwegs gelungen ist, die vielen Rollen entsprechend zu besetzen. Gleichwohl hinterlässt der Abend einen verhaltenen Eindruck. Wohl ist da und dort Nachdruck zu spüren, aber im Großen und Ganzen ist das Gebotene Aquarellmalerei. Nachdenklichkeit und Ruhe sind gewiss Vorzüge, aber die Bindung innerhalb und zwischen den einzelnen Szenen droht immer wieder verloren zu gehen. Manches wird sich vermutlich noch einspielen.

Jedenfalls ist es Esther Muschol gelungen, das Ensemble des Schauspielhauses positiv herauszufordern und es zu beachtlichen Leistungen zu motivieren. Daniela Enzi zeigt als gescheiterte Gutsbesitzerin überzeugend, wie diese Frau zwischen Selbstmitleid und Schroffheit hin und her gerissen wird. Ihr scharfes Urteil über andere kommt ebenso zum Tragen wie ihre hohe Begabung für das Unglück.

Antony Connor als ihr Taugenichts-Bruder kann zwar keinen Moment ernst genommen werden, gewinnt aber mit seinen Gefühlsausbrüchen doch einige Sympathien. Besonders ergiebig ist der Kaufmann Lopachin, der das Gut, auf dem sein Vater und Großvater noch Leibeigene waren, letztlich erwirbt. Martin Brunnemann gibt in dieser Rolle nicht den eiskalten Geschäftsmann, nicht den puren Erfolgsmann, denn in Sachen menschlicher Beziehungen ist er ein Versager. Seine Verbindung mit Warja (Christiane Warnecke), der Ziehtochter, kommt nicht zu Stande, und seine Gönnerrolle gegenüber dem ewigen Studenten Trofimow (Nenat Subat) wird ihm nicht abgenommen.

Trofimow macht sich mit seinen verstiegenen Vorstellungen von einer neuen Lebensform – „Wir stehen über der Liebe“ - an die schwärmerische Tochter der Gutsbesitzerin (Kristina Kahlert) heran. Die aber findet im Untergang zu einer Neuen Perspektive.

Ein saftiger Typ ist der ohne Plan dahin wurschtelnde, verschuldete Gutsbesitzer Ssimeon-Pischtschik (Marcus Marotte). Komik und viel Farbe tragen auch der unglückliche Kontorist Epichodow (Theo Helm) mit seinen knarrenden Schuhen, der Mießling Jascha (Lukas Möschl), das Dienstmädchen Dunjascha (Magdalena Oettl) mit seinen überschießenden Emotionen und die kapriziöse Zauberkünstlerin Scharlotta (Alexanda Sagurna) bei.

Eine anrührende Gestalt hat in jeder „Kirschgarten“-Inszenierung der uralte Diener Firs zu sein, der am Schluss von allen vergessen im Haus eingeschlossen wird. Stocksteif, sehr weiß geschminkt und vor sich hinbrabbelnd spielt ihn Olaf Salzer unerschütterlich als einen Mann einer lang zurückliegenden Zeit.

Weitere Aufführungen im Schauspielhaus bis 19. Juni - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: SSHS/Jan Friese | Blowup

 

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