Freiraum für die Freien schaffen
ARGEkultur / JAHRESPROGRAMM 2015 (1)
08/01/15 Dem „starken Wunsch, politische Themen auf die Bühne zu bringen“, kann und will sich ARGEkultur-Leiter Markus Grüner-Musil nicht widersagen. Ganz oben auf der Liste der Jahres-Vorhaben – voraussichtlich wieder rund dreihundert Veranstaltungen mit erhofften 35.000 Besucherinnen und Besuchern – stehen die vier quasi hauseigenen (Co)Produktionen.
Von Reinhard Kriechbaum
Vom Taschenopernfestival bis zum „Open mind Festival“ (bei dem heuer Gold extra wieder einmal kreative Computer auf die Bühne schickt) reicht der Bogen, von der Farce „Monster zertrampeln Hochhäuser“ bis zu einer Tanztheaterproduktion von Editta Braun: Das sind also jene vier Produktionen, mit denen sich die ARGEkultur heuer als Produktionshaus quasi ins Zentrum der gesellschaftspolitisch engagierten Kunst rückt. Wie bisher gehe es nicht darum, fürs Theater ein eigenes Ensemble zu gründen, sondern ums Knüpfen von Netzwerken, um ein intensives Ermöglichen der Zusammenarbeit unterschiedlichster freier Gruppen. Für die Freien Freiraum schaffen, ist eine Devise für Markus Grüner-Musil.
Kann man lachen über Wohnungsnot und überhöhte Mietpreise? In der Farce „Monster zertrampeln Hochhäuser“ von Lukas Holliger schon. Dieses Stück, das in der Regie von Michael Kolnberger seine szenische Uraufführung erlebt (am 9. Mai) war in der Endauswahl des Berliner Stückemarkts 2011 und wurde 2013 bei den AutorInnen-tagen „Stück auf!“ am Schauspiel Essen gelesen. Es erhielt dort den Publikumspreis und den Preis der Jugendjury.
Esd spi
„Sirenen – Wer keine Fragen stellt, hört auch keine Lügen“ ist heuer Titel des der Titel des Taschenopernfestivals von 16. bis 29. September. Inhaltlicher Ausgangspunkt für die Stücke sind die ersten beiden Seiten des 11. Abschnitts aus „Ulysses“ von James Joyce, der Einleitung zu so genannten Sirenen-Episode. Der verführerische Gesang – wie kann er sich in neuen Opern mit experimenteller Dramaturgie, Tonsprache und Form niederschlagen? Fünf Komponistinnen sind gerade emsig am Werk dafür: die Deutschen Brigitta Muntendorf (Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung 2014) und Sarah Nemtsov (Busoni-Kompositionspreis 2013), die Polin Jagoda Szmytka, die Irin Ann Cleare und die Chinesin Wen Liu. Inszenieren werden der künstlerische Leiter des Taschenopernfestivals Thierry Bruehl, sowie die Regisseure Ernst M. Binder (Leiter drama.graz), Paul-Georg Dittrich (Opernstudio Hamburg) und Kristof Georgen (Stuttgart). Hans-Peter Jahn (langjähriger Leiter des Eclat Festival Stuttgart und Neue-Musik-Chef des SWR) und Johannes Blum (Staatsoper Hamburg) begleiten die Taschenopern 2015 als Dramaturgen. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Juan García Rodríguez (Sevilla), der mit dem Taschenopernfestival seit 2005 als Komponist und Dirigent eng verbunden ist. Musikalischer Partner der Taschenopern 2015 ist – bereits zum vierten Mal – das oenm-österreichisches ensemble für neue musik.
„RUST. bodies in concert“ ist Titel eines neuen Tanztheaters von Editta Braun, Koproduktion ihrer Company mit dem Manipulate Festival Edinburgh, dem Posthof Linz und der ARGEkultur, zu sehen von 14. bis 17. Oktober. Seit Beginn ihrer Arbeit als Choreografin erzeugt Editta Braun mit ihrer Company in der Reihe der „Luvos“-Produktionen immer wieder Faszination und Irritation in der Wahrnehmung bewegter menschlicher Körper. Diesmal geht es nicht nur darum, Körperillusion zu erzeugen, die Tanzkunst soll mit der ihrem Wesen nach abstrakten Kunst der Musik eine lebendige Verbindung eingehen. Zwischen den Tänzern wird also eine Pianistin sitzen, die in London lebende türkische Konzertpianistin Ayse Deniz Gokcin, Shootingstar der klassischen Musik, welche derzeit mit ihren von Liszt inspirierten Pink-Floyd- und Nirvana-Arrangements für Solopiano weltweit Furore macht. Die Musik schreibt Thierry Zaboitzeff.
Die vierte Eigenproduktion in der ARGEkultur wird im Rahmen des Open Mind Festival 2015 (12. bis 22. November) Premiere haben, das unter dem Motto Ich ist eine andere“ steht. Es geht diesmal um die Konstruktion von Identität und Rollenbildern, um den Körper als Kunst- und Projektionsfläche. Ein Fokus wird auf die Analyse der – vor allem weiblichen – individuellen Identitätsbildung sowie der damit behafteten Fantasien, Stereotype, Machtüberschreitungen und Rebellion gegen diese konfliktgeladenen Bereiche gelegt werden.
Ein Programmpunkt im Open Mind Festival wird „Frankenstein“ sein, für das die Salzburger Medienkünstler von „gold extra“ schon an besonderen Robotern tüfteln (und einige Prototypen auch schon haben anrollen lassen im Nonntal). Mit „Frankenstein“ schaut gold extra auch dorthin, wo uns die Roboter gefährlich nahe kommen, nämlich in die Krankenhäuser, Heime und Pflegestationen. Menschen gehen kaputt, Roboter nähen sie in Krankenhäusern wieder zusammen. Die Idee für die „Frankenstein“-Paraphrase: Da sind keine Menschen mehr zum Reparieren und die arbeitslos gewordenen Roboter machen sich daran, selbst neue Kundschaft generieren. Wie stellen sich herrenlos gewordene Roboter den Menschen vor?
„Wie auch in den vergangenen Jahren kommen 2015 bevorzugt regionale Netzwerke zum Zug“, erklärt Markus Grüner-Musil seine Besetzungs-Strategie. „Wir wollen den eingeschlagenen Weg weiterführen, der kleineren, nicht-kommerziellen Veranstaltungen, besonders im freien Theaterbereich, eine hohe Priorität in der Raumvergabe gibt.“ Dies gehe auf Kosten von Großveranstaltungen und kommerzielleren Gastveranstaltungen. Gerne nehme man in Kauf, dass die Zahl der Besucher in etwa gleich bleibt und nicht weiter steigt. „Als Prämisse für unsere Arbeit gilt eine Programmierung, die alle Kulturinteressierten unabhängig von ihrem sozialen Status Zugang zu Kultur abseits des Mainstream ermöglicht. Daher bieten wir StudentInnen, SchülerInnen und Mitgliedern der ARGEkultur auch 2015 Tickets mit einer 50%-Ermäßigung an.“
In besonders intensiver Form werde aktuell die Infrastruktur des Hauses als Arbeits- und Probenhaus genutzt, erklärt Grüner-Musil. Das Theater MAZAB (Markus Steinwender) bereitet soeben die Produktion „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ vor: Mitteleuropäer finden sich als Flüchtlinge in Ägypten wieder… sitzen im auseinander (Premiere 20.1.). Petra Schönwald entwirft mit der Theaterfassung „Joseph Fouché – Bildnis eines politischen Menschen“, angelehnt an den Text von Stefan Zweig, das Paradebeispiel eines politischen Opportunisten (ab 6.2.). Die junge Theatermacherin Sarah Zaharanski versucht mit ihrer Version „Romeo und Julia 2.0“ Sprache und Musik der Gegenwartskultur in den Klassiker einfließen zu lassen. Das Theater ecce mit „Der Feuervogel“ oder das Theater Janus mit „Nach dem Ende“ nutzen die ARGEkultur für Wiederaufnahmen. (Wird fortgesetzt)