Rock’n’roll, Intrigen und die lautere Liebe
LANDESTHEATER / KABALE UND LIEBE
24/11/14 Eine nicht standesgemäße Liebe, dazu eine verhängnisvolle Intrige - dass Schillers „Kabale und Liebe“ auch nach zweihundert Jahren keineswegs verstaubt ist, zeigt Alexandra Liedtkes Inszenierung, die am Samstag im Landestheater ihre Premiere hatte.
Von Jeanette Römer und Verena Resch
Ferdinand (Clemens Ansorg) ist die Neuinterpretation eines Punks. Mit zerrissener Hose und weitem T-Shirt tritt er auf und singt Elvis Liebeshymne „I can’t help falling in love with you“. „Das kann doch keine Sünde sein“, ruft Luise (Sofie Gross) aus dem Zuschauerraum und stürmt auf die Bühne, wo sich beide im Liebestaumel tanzend umklammern.
Die Intrige gegen das Liebespaar, geschmiedet von Wurm, wird von diesem mit Kreide auf einer schwarzen Tafel skizziert: So ging Powerpoint damals. Der Präsident versteht’s, und das junge Publikum (Hauptzielgruppe dieser Aufführung) voraussichtlich auch. Besonders interessant am Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt ist der steil nach hinten ansteigende, kupferfarbene Boden, der dem Bühnenraum eine scheinbar endlose Tiefe verleiht. Trotz Reduzierung der Requisiten auf ein Minimum gelingt es auf dieser langen Schräge, die Stände symbolisch zu trennen und mit schwarzen Zwischenwänden den unterschiedlichen Handlungsorten einen Rahmen zu geben.
Präsident von Walter, treffend gespielt von Marcus Bluhm, tritt in einem weißen Frotteehandtuch auf und lässt sich die Füße von seinen Kinderhaushaltshilfen entstauben, was komisch wirkt und den Gedanken hervorruft, die Regisseurin Alexandra Liedtke volle den Staub der alten Tage aus dem Stück kehren. Dieser Präsident wirkt wie ein neureicher Geschäftsmann, der für seine Ziele über Leichen geht. In älteren Filmen haben Mafiosi so dreingeschaut. Wurm (Hanno Waldner) zeigt sich uns als nervöser, sich ständig den Schweiß abtupfender, spießiger Mensch mit Seitenscheitel und gelbem Pullover.Da er der Nebenbuhler Ferdinands ist und zudem ein Gespür für Intrigen hat, steckt er dem Präsidenten die Liebe Ferdinands zu Luise. Hanno Waldner schafft es vom Beginn an, durch Mimik und Gestik Antipathie zu wecken und wird seiner Rolle somit sehr gerecht.
Clemens Ansorg liefert mit seiner Darstellung des zu Beginn zwischen „kalter Pflicht“ und „feuriger Liebe“ hin und hergerissenen Präsidentensohnes, der am Ende in tiefste Verzweiflung stürzt, eine wirklich beeindruckende Leistung (seine Sprechtechnik hebt sich entscheidend positiv von der des übrigen Ensembles ab). Daneben wirkt Sofie Gross in der Rolle der Luise etwas blasser. Ihre Schwärmerei für Ferdinand wirkt etwas aufgesetzt - erst am Ende des Dramas, als es darum geht, die Intrige vor Ferdinand aufzudecken, kommt auch ihr Können zum Vorschein.
Die Emotionalität, wie auch die Rebellion des Sohnes gegen seinen Vater, lassen an die Pubertät denken und Ferdinand (Clemens Ansorg) somit zu einer uns sehr nahen, überzeitlichen Figur werden. Luise (Sofie Gross), mädchenhaft und ein wenig naiv im Wesen, wirkt weltfremd und züchtig. Sie ist im Gegenteil zu Ferdinand eine brave und liebende Tochter, die sich ihrem Vater (Walter Sachers muss einen Abend lang rasen und toben) kaum zu widersetzen traut.
Für die beiden Jungen ist Liebe alles, und so schlägt Ferdinand in Folge seiner Eifersucht den Kopf gegen die Wand und verzweifelt im vollen Ausmaße und Luise beschließt, sich das Leben zu nehmen.
Lady Milford, gespielt von Julienne Pfeil, verkörpert ganz und gar das extravagante Hofleben des Fürsten. Geige spielend sitzt sie in einer goldenen Badewanne, von Tüll umgeben. Sie träumt von einer Ehe mit Ferdinand, was eine Flucht aus dem Dasein als Mätresse des Fürsten ermöglichte. Nacktheit und viel Tüll wecken Assoziationen an Prostitution und Brautkleid. Lady Milford versucht Ferdinand im Wortsinn einzuwickeln und ihn von sich zu überzeugen, indem sie sich nackt auf ihn stürzt. Sie muss scheitern.
Hofmarschall von Kalb, verkörpert von Tim Oberließen, ist dem Präsidenten hörig. Mit dem extravaganten körperbetontem Kleidungsstil und ansonsten sehr ungepflegt wirkendenden Aussehen, wird die Figur durch fast homoerotische Anwandlungen dem Präsidenten gegenüber manifestiert. „Setzen Sie sich!“, wird er aufgefordert von dem Präsidenten, als dieser ihm von der Intrige berichten will, in der der Hofmarschall der Empfänger des Liebesbriefes Luises ist. Aber da ist kein Stuhl. Die Sitzmöglichkeit findet er nach einer Aufmunterung des Präsidenten auf dessen Bein. Ihn umfassend, schaut der Hofmarschall tief in die Augen des Präsidenten. Bei dem Abschluss der Szene läuft Kalb in Trippelschritten davon, was die homoerotischen Anwandlungen noch unterstreicht.
Jürgen Beitel unterstützt das Stück musikalisch und kreiert durch passende Musikeinlagen die Atmosphäre. „Where did you sleep last night“ (Leadbelly) unterstützt den Ausdruck der Eifersucht Ferdinands. Romantische Klaviermusik setzt bei den Liebesszenen ein. Gitarrenklänge, die an die Anfangssequenz von „Eye of the tiger“ von Survivor erinnern, begleiten die Szenenwechsel. Gekrönt wird das Ganze durch „My mistress eyes“, welches von Karsten Riedel geschrieben wurde, das in der Sterbeszene von Ferdinand für Luise gesungen wird, und das Unglück emotional unterstreicht: Das ist – weil’s endlich leise ist – dann doch ein emotionaler Höhepunkt. Der zuvor stets laute und aufbrausende Vater Miller kniet still neben seiner toten Tochter, deren Kopf im Schoße Ferdinands liegt, dessen leiser Gesang allmählich verstummt, während auch er tot niedersinkt und die schwarze Wand vor den dreien herabsinkt. Alexandra Liedtke macht aus „Kabale und Liebe“ ein zeitnahes Stück, das auch das jüngere Publikum in seinen Bann zieht, ohne dass Schillers Trauerspiel Gewalt angetan würde.
Aufführungen bis 15. Februar 2015 – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christina Canaval
Dieser Text ist entstanden im Rahmen der Lehrveranstaltung „Palimpsest und Festplatte“ am Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg.