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Aschgrau gegen Businessgrau

SCHAUSPIELHAUS / DIE ANARCHISTIN

18/11/13 Zwei Frauen im Pensionsalter sitzen einander gegenüber: Ann hat ihre Zeit als treue „Staatsdienerin“ verbracht, als Staatsanwältin. Eine Komplizin der öffentlichen Ordnung. Die andere, Cathy, hat als beinah noch Jugendliche einen Polizisten ermordet und ist seither im Gefängnis.

Von Reinhard Kriechbaum

070Im Zweifelsfall sitzt der Staat wohl auch bei uns auf dem längeren Ast: Aber die Zuchthäuslerin hätte bei uns trotzdem bessere Karten als Cathy in dem neuen Stück „Die Anarchistin“ von David Mamet. Sie wäre vermutlich nicht einer einzigen Person ausgeliefert, die nach Gutdünken über vorzeitige Haftentlassung oder weitere Internierung entscheidet.

In den USA ist die Rechtslage grundsätzlich anders: Die amerikanische Verfassung (und damit das Rechtssystem) stammen aus der Zeit, bevor sich in Frankreich und bald in ganz Europa der Code Napoleon durchgesetzt hat: dass nämlich der Ankläger die Schuld des Angeklagten beweisen muss. In den USA ist es bis heute umgekehrt. Da kann die Anklage behaupten, was sie will, und die Beweislast liegt beim Angeklagten. Dem ur-demokratischen Nimbus der USA zum Trotz steckt dort ein gutes Stück alter Absolutismus sozusagen in den Staats-Genen. Von Guantanamo bis zum jüngsten Abhörskandal des US-Geheimdienstes spiegelt sich diese aus europäischer Sicht problematische Rechtsauffassung.

072In diesem Sinn ist die „Anarchistin“ von vorneherein in einer schier ausweglosen Situation: Sie soll nach 35 Jahren im Knast glaubhaft machen, dass sie geläutert, ja bekehrt ist, dass sie ihre Untat bereut. Die Staatsanwältin ihrerseits, knapp vor dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, will einmal noch ihre und des Staates Macht bestätigt wissen. Jedes Wort der Angeklagten, sei es jetzt gesprochen oder irgendwann im Lauf der Jahrzehnte geschrieben oder protokolliert, wird augenblicklich gegen sie verdreht. Cathy ihrerseits hat im Gefängnis auch genug Zeit zum Nachdenken gehabt und ist rhetorisch gut drauf: Die beiden Frauen schenken einander nichts.

Im Schauspielhaus Salzburg, wo  Mamets Stück im Studio seine österreichische Erstaufführung erlebt, kann man sagen: Daniela Enzi gegen Ulrike Arp – das ist Brutalität. Die Rolle der Staatsanwältin ist die geradlinigere. Ulrike Arp schaut verkniffen bis verhärmt drein und es ist keine Frage, dass es sie viel Lebensenergie gekostet hat, dem Götzen Staat so treu zu dienen. Der Frustpegel ist enorm (was ihre Kontrahentin immer wieder argumentativ ausnützt). Ulrike Arp liefert ein glaubwürdiges Bild der personifizierten Lebenslüge.

071Damiela Enzi als geläuterte „Anachrichtin“: Ein wenig Revoluzzertum brennt da quasi noch unter den Fingernägeln. Aber fast milde wirkt sie, wenn sie sich selbst für ihre jugendlichen Verirrungen selbst die Absolution erteilt und eine solche auch vom Staat erwartet. Sie hat sich (wiewohl Jüdin) Gott genähert, hat sogar ein Buchmanuskript geschrieben. Viele Argumentationsketten kreisen also um Glauben, Gott und potentielle Vergebung – und auch das gibt dem Stück von David Mamet einen ausgeprägt amerikanischen Touch. Dort haben die Evangelikalen ja nicht wenig politischen Einfluss. Hierzulande ist es schwer denkbar, dass ein Knastbruder einem Staatsanwalt mit überbordender Frommheit kommt…

Wie relevant man das Stück für eine mitteleuropäische Bühne nun immer einschätzt: Das siebzigminütige Kräftemessen zweier starker Frauen ist argumentativ interessant. Ein bisserl mühselig ist ein solcher Theaterabend alleweil. Regisseur Peter Arp hat dafür gesorgt, dass die Emotionen scharf, aber nicht marktschreierisch herauskommen. Ausstatterin Alexia Engel führt die Theaterbesucher beim Hineingehen an einer Art Besuchszelle vorbei, der Bühnendialog findet dann aber in einem länglichen Raum zwischen zwei länglichen Bänken statt. Das graue Business-Kostüm der Staatsanwältin und das aschgraue Gewand der „Büßerin“ zeigen, dass beide Frauen gar nicht so weit voneinander entfernt wären.

Aufführungen bis 18. Dezember im Studio des Schauspielhauses Salzburg – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Marco Riebler

 

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