Ersoffen in der eigenen Gedankentiefe
OPEN MIND FESTIVAL / [ARCHIV]
15/11/13 Ärgern, nein. Wundern eher. Vor allem aber ist Mitleid am Platz, wenn Theaterleute sich so hoffnungslos verheddern in den eigenen Ganglien, wenn sie sich so grandios verlaufen in den X-Large-Weiten der eigenen Köpfe.
Von Reinhard Kriechbaum
Da hat man also „ortszeit“ disloziert, aus dem luftigen Leogang geholt und hinein gezwängt in die Blackbox der ARGEEkultur. Leogang war acht Jahre lang ein fester Spielort für das freie Ensemble rund um die Regisseurin Ursula Reisenberger. Dort hat man fleißig Oral History betrieben, Geschichte und Geschichten aufgezeichnet und in Stationendramen unter Tag und draußen in der Natur verwandelt. Die Wanderaufführungen, die Publikum von weit her angezogen hatten, bekamen aus gutem Grund Kultstatus.
Für „[archiv]“, eine Ensemble-Arbeit fürs diesjährige Open Mind festival der ARGEkultur, hat man die Oral History des Oralen entkleidet. Nur von Bildern solle die Sache leben, erklärte die Regisseurin vor einer Woche in einem Pressegespräch sinngemäß. Jede Erinnerung auf Wort-Basis sei nämlich gefährdet insofern, als Menschen ganz gezielt Dinge unter den Tisch fallen ließen oder anderes besonders betonten. Geschichte als subjektiv koloriertes Puzzle, nicht wirklich gelogen, aber fantasiereich neu kombiniert…
Auf Wörter also wollte man sich gar nicht erst einlassen. „[archiv]“ ist eine Theaterarbeit ausschließlich mit Versatzstücken: Kartonkoffer, eine alte Schreibmaschine, Reste von Uniformen, Schuhwerk und Altkleider aus den Jahren unmittelbar nach dem Krieg. Im Ohr der feste Soldatenschritt. Vier ausgemergelten Herren und einer Dame steht die Geschichte ins Gesicht geschrieben. Während sie eine Stunde lang einem Mütze-ab-, Hose-an-, Kleid-aus-, Mantel-um- und Schuh-Wechsel-Dich-Spielchen nachgehen, schauen sie bedeutungsvoll grimmig drein. Sie haben ja was erlebt, die Leute, die im 45er Jahr heimkehrten! Aus fast nichts mussten sie irgendwas machen. Alles war neu zu organisieren und zu ordnen.
Gerade davon aber bekommt man in diesem stinklangweilen Bühnenzeremoniell nichts zu sehen. Festen Schritts treten die Protagonisten einander gegenüber, aber es entwickelt sich zwischen den Figuren nichts, was man als Theaterbesucher irgendwie greifen könnte. Über dem dürftigen Geschehen dräut eine Smogwolke unausgesprochener Gedanken. Das rüttelt nicht auf, sondern wirkt einschläfernd. Irgendwann scheint der Gewand-Fundus aufgebraucht zu sein, jeder in jedem Kleidungsstück und in jedem Schuh gesteckt, auf jedem der kleinen Podeste gelegen und auf jedem der paar Stühle gesessen zu haben. Dann geht, nach 65 Minuten, das Licht aus. Keine Hand hat sich gut eine Minute lang geregt, weil man nicht recht glauben wollte, dass das alles gewesen sein sollte. Dass man dafür ins Theater geholt worden ist.
Keine Frage: Ursula Reisenberger und ihr Ensemble haben sich mächtig die Köpfe zerbrochen für dieses lähmende Un-Theater. Leider sind sie als Nichtschwimmer ersoffen in der eigenen Gedankentiefe.