Verhasste Dienstage, verhasste Donnerstage
SCHAUSPIELHAUS / DER SCHEIN TRÜGT
16/09/13 Das Stück „Der Schein trügt“ von Thomas Bernhard hatte dieser Tage in einer gelungenen Inszenierung von Robert Pienz im Salzburger Schauspielhaus Premiere.
Von Sylvia Knapp
Zwar fällt ihm das Stiegensteigen schon recht schwer – im Alter von 80 Jahren ist das nichts Ungewöhnliches –, aber um sich in einem langen Monolog zu ereifern, hat er noch genug Energien. Er heißt Karl und war früher „Tellerkünstler“. Was das ist? Nein, Fernsehkoch war er nicht, sondern ein Artist, der 23 Teller zugleich in der Luft halten konnte. Aber mit fünfzig hörte er auf. Was folgte, war ein Leben mit Mathilde. Noch nach deren Tod schimpft er ihr hinterher. Es passt ihm nicht, dass sie aus einer Lebensmittelhändler-Familie stammte, dass sie nicht gut genug Klavier spielte, dass es ihr an Bildung fehlte und vieles mehr. Vor allem aber wurmt es ihn mächtig, dass sie das Wochenendhäuschen nicht ihm, sondern seinem Bruder Rudolf vermacht hat.
Karl muss ein schrecklicher Tyrann gewesen sein. Mächtig viel bildet er sich darauf ein, Mathilde aus den gesellschaftlichen Niederungen zu einem respektablen Niveau heraufgezogen zu haben.
Mit Rudolf trifft er sich wöchentlich zwei Mal. Am Dienstag kommt Rudolf zu ihm, am Donnerstag geht er zu Rudolf. Naturgemäß hasst Karl sowohl die Dienstage als auch die Donnerstage. Karl hat meist einen aufgebrachten Ton drauf. Etwas ruhiger wird er nur, wenn er lobend von sich selbst spricht: über seine Genialität als Artist, über seinen guten Geschmack in Bezug auf Kleidung aus feinen englischen Stoffen, über sein Arsenal von Schuhen und über seine Lektüre der großen Philosophen Voltaire und Pascal. Zwischendurch muss er sich freilich mit so gewöhnlichen Dingen wie dem Zehennägelschneiden abgeben und über löchrige Socken ärgern. Dass Mathilde gestorben ist, nimmt er ihr übel.
Nicht nur an Mathilde nörgelt er posthum herum, auch an seinem Bruder Rudolf, der Schauspieler ist, lässt er kein gutes Haar. Er spottet ihm nach und lässt keinen Zweifel daran, um wie viel höher der Artist über dem Schauspieler steht. Unverblümt gibt er mit seiner Weltläufigkeit an.
Robert der nach Karls langem Monolog endlich daher kommt, ist viel zurückhaltender. Denn ihn plagen allerlei Leiden, Lunge, Leber, Milz, er hat genug zu tun mit seiner Hinfälligkeit. Im Unterschied zu seinem agilen Bruder hat Rudolf nur eine einzige gute Erinnerung, jene an seinen großen Erfolg als Tasso. Im Übrigen dürfte es mit seiner Bühnenkarriere nicht weit her gewesen sein. Aus dem Traum, jemals den Lear zu spielen, das sieht er ein, wird nichts mehr werden. Nun Besitzer eines Wochenendhäuschens zu sein, bedeutet ihm keinen Triumph. Gern würde er es gemeinsam mit Karl ausbauen.
Karl lebt ein wenig kleinhäuslerisch, Robert dagegen ein bisschen mondäner, beide allerdings auf engem Raum. Es ist halt auf der Studiobühne des Schauspielhauses wenig Platz. Die Ausstatterin Ragna Heiny musste sehr haushälterisch vorgehen.
Unter der Anleitung von Regisseur Robert Pienz führen die Schauspieler Harald Fröhlich und Georg Reiter in schönem Kontrast den perfekten Bernhard-Sound vor. Der eine liebt Brahms, der andere Schönberg. Der eine lamentiert virtuos, der andere verlässt sich schmerzgeplagt auf seine ausdrucksstarke Mimik. Beide sind einander durch Ab- und Zuneigung gleichermaßen aufs Engste verbunden. Es ist sehr amüsant, ihnen einen Abend lang zuzuhören und zuzuschauen.