Tschechow hinter verschlossener Tür
ARGEkultur / THEATER PANOPTIKUM
17/06/13 "Dem Russen ist ein künstlerischer Hausverstand angeboren!" So Arturas Valudskis, der damit am Freitagabend (14.6.) alle Lacher auf seiner Seite hatte. Die Premiere von "Großartige Geschichten über fast nichts" überraschte und gefiel: Kurzatmig, lebendig und alles andere als banal sind Erzählungen von Anton Tschechow über "fast nichts" umgesetzt.
Von Oliwia Blender
Der Autor jedenfalls hatte das Glück, bestens mit (angeborenem) Schreibtalent ausgestattet worden zu sein. Fast jeder Theatermensch träumt im Verlauf seiner Schaffensphase davon, sich mit einem Tschechow Stück auseinandersetzen zu dürfen. Deshalb wundert es auch nicht, dass sich die Qualität und Tiefgründigkeit der zum Kanon der Weltliteratur gehörenden Literatur, auch in seinen Kurzgeschichten spiegelt. Bekanntlich ist es dennoch eine Kunst für sich, nichtdramatische Texte auf die Bühne zu bringen. Das Theater Panoptikum entwickelt eine magische Atmosphäre, mit hypnotisierender Wirkung. Spärlich mit einem Tisch, zwei Stühlen (jeweils auch in Miniaturausgabe) und einer schwarzen Tür ausgestattet, leistet die Illusionskunst "Bühnenbild" volle Überzeugungskraft.
Schreibmaschinen-Geklimpere hinter der Tür gibt mehr als nur den Rhythmus an. Vielmehr überkommt einen die Idee, niemand Geringerer als Tschechow selbst, sitze dahinter. Und wir Zuschauer lauschen der Entstehung des Textes gleichermaßen, wie auch der szenischen Darstellung der einzelnen Sätze, die sich willkürlich und unaufhaltsam zu Handlungen und Situationen weiterentwickeln. Gerda Gratzer, Frau mit Hut, trägt zur heiteren Stimmung des Publikums bei, sie probiert sich an einem kleinen Tischpiano an einem Werk Schumanns. Mehr als nur einmal wird sie dazu von ihrem Lehrer (großartig gespielt von Jan Hutter) gedrängt. In seinen Augen ein bemitleidenswerter Fall. Das Scheitern aufgrund von fehlendem "Nährboden für die Kunst" sei vorprogrammiert. Trotz aller Absurdität und Komik erfährt man so einiges über die Gepflogenheiten und Reibungspunkte in der Gesellschaft zum Ende des 19. Jahrhunderts hin.
Als der Regisseur selbst auf die Bühne tritt, hinterlässt er Eindruck: Sein Monolog über Frankreich belustigt die Zuschauerrunde, bei näherem Hinsehen aber weist er auf die ernsthaften Konflikte hin, welche zur damaligen Zeit durch die russische Emigrationswelle der "Intelligenzija" ausgelöst wurden. Da schürt auch der Hinweis auf die unvereinbaren Weltansichten, hervorgerufen durch die Herkunftsunterschiede von Stadt- und Landmenschen in Russland, nur noch ein größeres Feuer.
Tschechov thematisiert alltägliche Zusammenkünfte und Situationen. Er weist nicht nur auf soziologische und allgemeine Probleme in der Kommunikation hin, sondern auch die psychologische Darstellung der Figuren rückt in den Vordergrund. Und nicht zu vergessen: Kritik am (pseudomäßigen) Theoretisieren über Kunst, was folglich nur zu einer Exklusion führen kann.
Die Inszenierung spiegelt ein (Hass-)Liebesgeständnis an Russland, mit dem Verzicht auf kitschige Attribute und künstliche Russifizierung. Trotz einfacher Hilfsmittel und kurzer Spieldauer hat man das Gefühl, sehr viel für sich von dieser Inszenierung mitgenommen zu haben.