Ich will aber existieren!
SCHAUSPIELHAUS / ZEIT IM DUNKELN
15/05/13 Henning Mankell, schwedischer Schriftsteller und Regisseur, stellt Ansprüche an das Theater: Es soll „Wichtiges“ zu sagen haben und politisch brisante Themen diskutieren. In seinem Stück „Zeit im Dunkeln“ wird er dem eigenen Anspruch gerecht: Er appelliert an die europäische Asylpolitik und erinnert an die Idee eines offenen Europas.
Von Oliwia Blender
Sie bezahlen für den Wunsch nach einer menschenwürdigen Zukunft einen hohen Preis: Die Mutter und Ehefrau ist bei der illegalen Ausreise ertrunken. Das meiste Geld mussten sie an die Schlepperbande bezahlen. Und gelandet sind sie in einem unbekannten europäischen Land, deren Kultur und Sprache sie nicht verstehen.
In der Regie von Claus Tröger entwickelte sich bei der Premiere von Henning Mankells „Zeit im Dunkeln“ am Dienstag (14.5.) im Schauspielhaus-Studio ein einstündiger nervenaufreibender Dialog zwischen Vater (Olaf Salzer) und Tochter (Katharina Pizzera): Es geht um Vertrauen und Kontrolle, um Angst und Hoffnung.
Geflüchtet sind die Beiden aus ihrer Heimat, um den politischen und ökonomischen Missständen zu entkommen. Nun befinden sie sich in einer Art Zwischen-Station, die vielleicht auch schon die End-Station ist - und dem Zuschauer jegliche Hoffnung auf Besserung verweigert. Versteckt im Untergrund warten sie auf Hilfe, auf ihre neuen Papiere und auf die Weiterreise nach Kanada oder Australien. „Ich will doch nur, dass jemand weiß, dass es mich gibt“, sagt die Tochter immer wieder.
Die Angst vor dem Entdeckt werden, die Erinnerungen an die Flucht, treiben die Beiden in den Wahnsinn. Der Vater erzwingt durch alltägliche Rituale und falsche Hoffnungen das Vergessen. Er verdrängt die Entwurzelung und den Tod eines geliebten Menschen. Bricht immer wieder in einen cholerischen Redeschwall aus, kämpft mit manischen Verhaltensweisen und übersieht dabei die Existenz und die Nöte seiner Tochter.
Diese ständigen emotionalen Wechselbäder lösen auch in ihr eine Ver-Wandlung aus: Anfangs noch bemüht, sich der Illusion der Hoffnung hinzugeben, wird sie sich ihrer Stärke zusehends bewusster - was in Vorwürfen an den Vater wegen des Todes der Mutter und in neuen Forderungen endet: individuelle Identität, Freiheit, Menschenrechte – wie sie in Europa versprochen werden. Alle Beweise für die Existenz werden verbrannt, das Stück endet im Dunklen. Einzelne Zuschauer verlassen das Studio fröstelnd.
Claus Trögers Inszenierung dieses anklagenden Einakters überzeugt in der darstellerischen Umsetzung. Das Bühnenbild von Katja Schindowski mit seinen Containern und dem Maschendrahtzaun als Lebensraum unterstreicht die Orts- und Zeitlosigkeit in der Welt der Flüchtlinge.
Inhaltlich hat das Stück tatsächlich etwas mitzuteilen. Der Handlungsverlauf ist auf eine Nacht beschränkt, dennoch fehlt es nicht an (Re)Aktion: Die Darstellung von Vergangenem und Gegenwärtigem gelingt dank der schauspielerischen Leistung von Katharina Pizzera und Olaf Salzer. Die Produktion berührt und wirft die Frage auf: Ist Flucht ein Verbrechen?