Frühstart ins Bühnenleben
LANDESTHEATER / DICHTER AM THEATER
17/03/13 „Berühren sich noch eure Zungen beim Küssen?“ Was die junge Dame nicht alles wissen will von den Eltern! Die sind ziemlich peinlich berührt, denn Agnes legt mit jeder ihrer Fragen die Finger auf die Wunde einer hoffnungslos zerrütteten Beziehung. – Zwei Uraufführungen blutjunger Stückeschreiber in den Kammerspielen.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Irritation ist nachhaltig. Die Eltern (Tina Eberhardt, Katja Schindowski) stehen ja eigentlich am Grab derjenigen, die sie plötzlich als pubertäres Teenager-Pummelchen ins Kreuzverhör nimmt. Tamara und Gustav trauern. Sie trauern aneinander vorbei und heftig gegeneinander. Mit dem Stück „Gift“ von Lot Vekemans hatte das Schauspielhaus Salzburg erst unlängst ein ganz ähnliches Thema auf der Bühne.
Der 25jährige deutsche Autor Jakob Nolte setzt noch eins drauf: Plötzlich steht die Tochter, die bei einem von der Mutter verschuldeten Autounfall ums Leben gekommen ist, wirklich da. Ein liebenswert-charmantes Gespenst (Shantia Ullmann), aber eben peinlich-wissbegierig: „Habt ihr ein neues Kind?“ – Nein.“ – „Warum nicht?“ Die Katze haben die beiden nach dem Tod des Kindes entsorgt. Darüber, wann sie zuletzt miteinander geschlafen haben, schweigen wir lieber. In der prägnant-kurzen Begegnung, in den bohrenden Fragen Agnes‘ steckt enormer Zündstoff.
„Agnes“ ist einer von zwei Einaktern, die am Freitag (15.3.) in den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters uraufgeführt wurden. Es ist ein Ergebnis aus dem Studiengang „Szenisches Schreiben“ der Universität der Künste in Berlin. Das Salzburger Landestheater und der Dramaturg und Stückeschreiber John von Düffel, der den Studiengang leitet, haben sich diese Kooperation ausgedacht. Im Fall von Jakob Noltes „Agnes“ ist tatsächlich ein brisantes, in der dramaturgischen Wirkung pointiertes und für die Schauspieler lohnendes kleines Stück zustande gekommen. Claus Tröger hat es inszeniert. Er zeigte Gespür dafür, dass die heftigen Emotionen, die da brodeln, eindringlicher wirken, wenn sie einigermaßen leise bleiben.
Das zweite Stück, an dem Abend in den Kammerspielen vor der Pause zu sehen, heißt „Bildstörung.“ Elsa-Sophie Donata Jach kommt aus Hannover und ist gar erst 21 Jahre alt. Warum der Titel und warum mit Punkt, erschließt sich nicht. Das Skript dieses Stücks hat sie schon bei einem Treffen von Jungautoren im Burgtheater (bei den „Werkstattagen“) vorstellen dürfen. Ihr Thema ist die Orientierungslosigkeit von Jugendlichen. Albin (Sebastian Fischer) ist das Alphatier in dieser Vierergruppe (Sophie Melbinger, Julius Forster, Christiani Wetter spielen die anderen). Er weiß offenbar immer, wo es langgehen soll, er hat ein Ziel. Dass dieses Ziel ausgerechnet der Verkauf gepanschter Drogen ist, ist ein Schönheitsfehler, tut aber nicht wirklich was zur Sache. Irgendwas Produktives muss der junge Mensch ja machen. Die anderen beklagen mit wohlgesetzten Worten ihre missliche Lage, die da heißt: Uns fehlen die Werte, an denen wir uns orientieren, die Handgriffe, an denen wir uns anhalten können! Darin, dass sie von den Eltern rein gar nichts Hilfreiches mitbekommen haben für die Suche nach dem Sinn des Lebens, herrscht kein Zweifel.
Die Herausforderung dieses Texts, der unglaublich hochgestochen und altklug wirkt, ist eben, ihn erträglich zu machen. Ihn also herunterzubrechen auf einen darstellerischen Normal-Pegel, so dass man den Schauspielern auch wirklich abnimmt, dass sie junge Leute im höheren Gymnasiumalter sind. In der Regie von Astrid Großgasteiger machten die vier ihre Sache recht gut. Die Regisseurin hat bekanntlich ein gutes Händchen fürs Jugendtheater.
Berufsjugendlicher müsste man sein. Als Zuschauer in den Fünfzigern tut man sich zugegebenermaßen schwer mit diesem Abend. Die Zielgruppe ist wohl das Teenie-Publikum, aber das war bei der Premiere noch nicht da. Wahrscheinlich werden beide Stücke recht gut ankommen. Aus etwas fernerer Zeitperspektive hingeschaut: Zwei blutjunge Autoren haben eine Chance bekommen und genutzt. Wie hoch ihr eigener Anteil, wie hoch jener des professionellen Helfers John von Düffel ist, kann man natürlich nicht abschätzen. Worüber man ins Nachdenken kommt: Ohne frühzeitige Vernetzung ist wohl nichts mehr zu machen im Theater. Junge Schreiber sind also gut beraten, wenn sie solche Optionen wie hier nützen. Gut, dass es solche Möglichkeiten gibt.