Weit über die Grenzen hinaus
ODEION / BORDERLINES FESTIVAL
11/02/13 „Borderlines“, das hat im Fall des von Reinhold Tritscher im Odeïon Kulturforum ausgerichteten Theaterfestivals nicht nur damit zu tun, dass Kunst eben im besten Fall Grenzen überschreitet und so Perspektiven weitet. Der Name des Festivals (von 13. Februar bis 22. März) gilt ebenso für einige der beteiligten Menschen.
Etwa für Alla Rybikowa aus Kiev. Sie ist Chefdramaturgin des Russischen Nationaltheaters der Ukraine – und gilt in der ukrainischen Hauptstadt als Grenzgängerin zwischen den Welten und Sprachen. Als Übersetzerin zahlreicher zeitgenössischer deutschsprachiger Theaterstücke hat sie sich ebenso einen Namen gemacht wie als „Brückenbauerin“ für deutsche Theatermacher im russischen Sprachraum. So war sie z.B. eine Schlüsselfigur beim Orestie-Projekt von Peter Stein in Moskau und sie ist Dauergast bei den Mühlheimer Theatertagen.
Das Russische Nationaltheater der Ukraine zeigt zum Auftakt des Festivals „Borderlines“ am 13. und 14. Februar Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“, das neben dem sexuellen Erwachen auch psychische Instabilität und Suizid thematisiert. Gespielt wird deutscher, russischer und ukrainischer Sprache. Auf Übertitel verzichtet man, „da die tragische Geschichte auch jenseits der Sprache mit Mitteln wie Choreographie und Musik, Mimik und Gestik erzählt werden kann“. Die Regisseurin Katrin Kazubko will auch auf die mitunter konfliktreiche Zweisprachigkeit in der Ukraine anspielen. Katrin Kazubko wird nach den beiden Vorstellungen an einem Publikumsgespräch teilnehmen.
Das Nationaltheater in Sibiu/Hermannstadt (Rumänien) hat auch eine deutschsprachige Abteilung: Diese stellt am 15. Februar Nikolai Gogols Einakter „Das Tagebuch eines Wahnsinnigen“ vor. Weitere Akzente im festival: Birgit Mühlmann-Wieser zeigt das Tanzstück „Grenzgänge/Borderlines2“ und die Tazcompagnie CieLaroque das auf einer wahren Geschichte beruhende Flüchtlingsdrama „Habibi Problem“. Die Theaterperformance „Trauma!“ verarbeitet Erkenntnisse der psychischen Traumaforschung. Grenzgänger im tatsächlichen Sinn waren auch die Schwabenkinder, deren Geschichte von Ann-Christin Focke in „Himmel sehen“ aufgearbeitet wird.
Die Ausgangsthese für das Borderlines Festival im Odeïon: Was „normal“ ist oder eben jenseits der gerade geltenden Norm ist immer von der Umgebung und der Gesellschaft abhängig. „Borderlines“ will Reinhold Tritscher, der künstlerische Leiter des Odeïon, aber nicht nur als Motto für das Festival selbst sehen: „Es lässt sich über das gesamte Frühjahrs-Programm legen.“
Thematisch eröffnete bereits Michael Kolnberger die Reihe mit Evelyne de la Chenelières „Bashir Lazhar“ (die Verfilmung war 2012 für einen Oscar nominiert). Da spielt Jurij Diez. Der russisch-deutsche Schauspieler– seit seinem Debut als Rasumichin in „Schuld und Sühne“ des Theater ecce ein fixer Bestandteil der freien Salzburger Szene – ist ebenfalls ein besonderer Grenzgänger in Sachen Theater. Der in Freilassing lebende Schauspieler pendelt mit seinen Produktionen zwischen dem gesamten deutschsprachigen Raum und russischsprachigen Metropolen und ist sicherlich einer der Ausnahmekünstler in dieser Stadt. (Odeïon/dpk)