Die Fieslinge in der Chefetage
THEATER(OFF)ENSIVE / RICHARD (RE)LOADED
07/02/12 „Ob ich ihn gleich tot wünschte, so hasse ich doch den Mörder und liebe nun den Ermordeten.“ – Es sind die klassischen Polit-Muster, sich hinaus zu lügen aus der jeweiligen Situation, Sündenböcke auszumachen und an den Pranger zu stellen…
Von Reinhard Kriechbaum
Guter Grund also, ein Stück wie „Richard II.“ (im Grunde kein must-have aus dem Shakespeare-Schatz) genauer anzusehen. Die Story – historisch spielte sie um 1400 – war gut zweihundert Jahre alt, als dieses Königsdrama entstand. Und auch weitere vier Jahrhunderte später passt es immer noch gut auf die Bühne, in diesem Fall: an den Konferenztisch.
Regisseur Alex Linse hat für „Richard (re)loaded“ aus der TriBühne Lehen nämlich ein großes Besprechungszimmer gemacht: Chefetage des Konzerns „England & Cie“. Nicht nur König Richard II. ist ein Problem, auch die Kompagnons. Der jeweilige CEO des Unternehmens ist der natürliche Feind aller anderen, und umgekehrt. Im Fall Richards ist es so, dass es der König, der eigentlich auf einer leeren Staatskasse thront, aufs Vermögen der Adeligen abgesehen hat. Bei Heinrich Bolingbroke, den er vorsorglich für ein paar Jährchen verbannt hat, gerät er aber an den Falschen. Der kämpft um sein Erbe, netzwerkt deutlich erfolgreicher und wird schließlich König. Richard kann lamentieren, zerknirscht räsonieren und wird doch – ein eindringliches Bild! – von einem scheinbar vertrauten „Freund“ in inniger Umarmung gekillt. Der neue König will von nichts gewusst haben.
Die Zuschauer sitzen links und rechts eines Tischs, der mit reichlich Kaffeegeschirr bestückt ist. Ein Telefon-Oldie aus Bakelit soll vielleicht suggerieren, das es doch ein Stück aus historischer Zeit ist. Sonst aber: alles total heutig. Die Herren (auch die Quotenfrau in der Runde spielt eine Hosenrolle) informieren sich über Tagesaktualitäten aus den SN, aber das allein darf ihr Verhalten nicht entschuldigen. Sie sind Fieslinge durch und durch. Ob sie das jeweilige politische Amt dazu gemacht hat, oder ob sie die rabenschwarze Seele in den Genen haben, ist nicht auszumachen. Jedenfalls werden die Schleimer augenblicklich zu Intriganten, wenn der Boss sich abwendet. Den erkennt man daran, dass sein schwarzes Sakko auf dem Rücken eine aufgemalte Krone trägt, an den Stoffkanten ist es äußerst dezent mit Gold besetzt.
Indem Alex Linse sämtliche Frauenrollen herausgestrichen hat, erleben wir das mörderische Hickhack ausschließlich zwischen wechselnden Männer-Seilschaften. Der Regisseur hatte den Ehrgeiz, viele Passagen neu zu übersetzen, und zwar in einer gebundenen Sprache, die gar nicht so anders klingt als zum Beispiel Christoph Martin Wielands Version, eine der Fassungen, die in der Schule seinerzeit als „klassisch“ gehandelt wurde. Es ist erfrischend, dass Linse eine Textvariante anbietet, die nicht auf zotige Sprüche oder Neudeutsch setzt.
Vor allem aber nehmen für diese Produktion der Theater(off)ensive die Schauspieler ein. Herwig Ofner ist Richard II., ein Yuppie mit sonnigem Gemüt zuerst, der sich smart lächelnd über das Geld der anderen hermacht. Von staatsmännischer Perspektive keine Spur, aber in den Medien täte er gut ankommen. Detlef Trippel als Heinrich Bolingbroke zürnt, rast, tobt – und wenn er dann an der Macht ist, dann sitzt er mit sichtlichem Wohlgefallen auf dem Leder-Bürostuhl. Er sagt wenig, aber seiner Miene sieht man an, dass es auch dieser Neukönig faustdick hinter den Ohren hat.
Einige Rollen sind zusammengezogen, so darf Sebastian Blechinger gleich zwei Herzöge (Norfolk, York) spielen – ein junger, beflissener Vorzugsschüler mit guten Karriereaussichten. Gar finster schaut Sebastian Brummer drein (Herzog von Lancaster, Northumberland). Aber er ist nicht schlimmer als die anderen.
Daniel Solymár und Diana Paul (Aumerle, Ross) profilieren sich weniger. Es muss auch im Aufsichtsrat Leute geben, die Sessel rücken und aufräumen, also die Arbeit erledigen, wenn jene, die wirklich das Sagen haben, wieder mal die (Papier-)Fetzen haben fliegen lassen. Der Konferenztisch ist groß und stabil genug, dass Zwist darauf auch handgreiflich ausgetragen werden kann.
Ein konzentriert eingedicktes Spiel um die Macht also. Langweilig wird das zwei Stunden lang gewiss nicht. Ist Richard II., nachdem er die Königswürde mit Schmach hat zurücklegen müssen, geläutert, menschlicher womöglich? Vielleicht wäre er ja mental auf einem ganz guten Weg, wenn ihm nicht der Garaus gemacht würde.