Beinahe nur ein Kinderspiel
ODEION / MAZAB / DIE SCHAUKEL
04/10/12 Spätestens sollten die Alarmglocken dann läuten, wenn sich zwei der Anwälte so nebenbei über die neue Staatsanwältin unterhalten. Genauer: über ihre knackige Rückansicht. Hat Dvori, die mit Vierzehn Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, in diesem Umfeld mit einem fairen Prozess zu rechnen?
Von Reinhard Kriechbaum
Aber was heißt da schon Fairness: „Die Grundlage des Justizsystems ist das Gesetz, nicht die Gerechtigkeit“, doziert einer der Herren im schwarzen Talar – und da bekommt man eine Gänsehaut. Auch ganz am Schluss, wenn sich Staatsanwältin und Richter in den Feierabend davonmachen mit dem Trost „Es ist doch nur ein Prozess und nicht unser Leben“.
„Die Schaukel“, heißt das Stück von der israelischen Autorin Edna Mazya. Überall könnte diese Geschichte spielen, und solche „Vorfälle“ sind wohl Alltag im Gerichtssaal. Vielleicht hat Dvori damals, „vierzehn Jahre und zehn Monate alt“, ein wenig getändelt mit den jungen Burschen. Vielleicht nicht einmal das. Beim Biertrinken hat die Halbwüchsige mit den Dreiviertelwüchsigen jedenfalls gut mitgehalten, und zum Mitkommen hat sie sich gerne überreden lassen. Schon deshalb, weil Daniela, eine aus der Gruppe, sich gar so eifersüchtig gebärdet hat. Das stachelt an. Und die Burschen? Einer hätte Dvori vielleicht wirklich mögen, aber als die anderen zur (Un)tat schritten, hat er sich feige nicht eingemischt…
In der Inszenierung von Markus Steinwender, zu sehen derzeit im Odeion, gelingt es, die Normalität der Situation, die unvermittelt in sexuelle Gewalt gegen das Mädchen mündet, zu unterstreichen. Armes Mädchen? Gewaltbereite junge Männer mit Testosteron-Überschuss? Kokett-spielerisches Heraufbeschwören des Unheils? Oder ein argloses Hineintappen in die Falle? So leicht zu entscheiden ist das nicht. Der dramaturgische Kniff: Die Autorin schafft Personalunion zwischen den Jugendlichen und den Juristen im Gerichtssaal. Dvori mutiert zur Staatsanwältin, die Peiniger werden zu den Verteidigern der angeklagten Jugendlichen. Das ist raffiniert gemacht und unterstreicht, dass mit Verständnis in der Erwachsenenwelt kaum zu rechnen sein wird.
Anna Paumgartner spielt Dvori, die eigentlich nur auf den Spielplatz gekommen ist, weil sie gerne schaukelt. Das Kleidchen ist ein bisschen kurz, stimmt schon. Und so lieb, wie sie dreinschaut, kann eine Botschaft (so es eine solche gibt) schon missverstanden werden. Christine Winter, Torsten Hermentin, Herwig Ofner und Maximilian Pfnür spielen die anderen Jugendlichen. Lebhaft sind sie, „halbstarke“ Rabauken vielleicht, bei weitem nicht "gewaltbereit". Sympathische Kerle eigentlich. Aber vielleicht macht Gelegenheit nicht nur Diebe, sondern auch Vergewaltiger.
Regisseur Markus Steinwender kommt mit den kargsten Bühnenmitteln aus, setzt auf die Ausstrahlung der Schauspieler, auf den Sog des gut gebauten Stücks. Den Darstellern nimmt man das Noch-jünger-Sein jederzeit ab. Man geht aus dieser Aufführung, die nicht Schuld zuschreibt und nicht „belehren“ will, jedenfalls nicht un-bewegt hinaus. Das junge Publikum beiderlei Geschlechts sollte sie wohl auch packen.