„...im richtigen Moment verbürgerlicht zu sein“
KAMMERSPIELE / KRANKHEIT DER JUGEND
05/03/12 „Adoleszenz“ sagt man heute dazu. Als Ferdinand Bruckner sein 1928 uraufgeführtes Stück schrieb, übertitelte er es „Krankheit der Jugend“. In einer Inszenierung von Marco Dott zu sehen in den Kammerspielen des Landestheaters.
Von Ulrike Guggenberger
Wir alle müssen durch: Neues ausprobieren, Beziehungen zu Gleichaltrigen ausloten, Selbstfindung und Identitätskrise innerhalb der Peer-Group, Übernahme der weiblichen oder männlichen Geschlechterrolle, Stimmungsschwankungen, Todessehnsucht, Suchtverhalten – eine endlose Liste von Begriffen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Ferdinand Bruckner, Dramaturg und Autor, war das Thema Jugend ein persönliches Anliegen. „Ein wirklicher Erzieher wird der Jugend die Verbundenheit mit dem ganzen Volk so liebenswert machen, dass sie keine Sehnsucht danach hat, sich in einer eigenen Welt abzusondern.“
Die jungen Leute Freder (Simon Werdeslis), Irene (Sofie Gross), Lucy (Josephine Raschke), Marie (Diana Ebert), Desirée (Agnes Kammerer), Petrell (Clemens Ansorg), Alt (Martin Trippensee), sie alle stecken mitten drin in diesem Prozess. Jeder einzelne arbeitet sich ab, müht sich in seinem persönlichen Kampf um Liebe, Anerkennung und Macht innerhalb der Gruppe, die ohne einander nicht leben kann und miteinander auch nicht. Latente und aktive Sexualität schaffen eine brodelnde Atmosphäre von Erregung und Angriffslust, die die Adoleszenten auf der Bühne toben und sich in emotional aufgeladenen Szenen gegenseitig in ihrem Innersten verletzen lässt. Keiner hat etwas zu verlieren in diesem todernsten Probedurchgang angesichts der Anforderung, vor der sie alle stehen: „...im richtigen Moment verbürgerlicht zu sein“.
Maries Promotion soll gefeiert werden, emotionale Verwirrungen aber verhindern die Festlaune. Marie wird von Desirée umworben, während ihr Exfreund Freder die hilflos verschüchterte Lucy verführt und Maries Freund Petrell die ehrgeizige Irene umwirbt. Alt versucht zwischendurch Ruhe aufkommen zu lassen. Desirée, von den Freunden als die „Coolste“ bewundert, verliert sich in ihrer Todessehnsucht.
Spielort der Inszenierung von Marco Dott ist ein Zimmer, im Zentrum ein langer Tisch, in dessen Mitte ein rührend bürgerlicher Guglhupf thront, der im Laufe des Abends je nach Emotion wütend oder verzweifelt zerpflückt wird. Hängt man noch am Schürzenzipfel der Kindheit? Ein dichtes Spiel, von den jugendlichen Helden und Heldinnen – selbst bereits post-adoleszent, glaubwürdig und temperamentvoll aufgeführt.
Es wird weiter gelebt“, heißt es einmal nach einem erschöpfenden Kampf. Zurück bleibt die Frage nach der „Krankheit“: Diagnose, blanke Ironie oder Beschreibung ohne Befund? Weiterführende Einsichten werden nicht angeboten.