Überraschend starke Rollenbilder
LANDESTHEATER / DAS WEITE LAND
27/02/12 Werner Schneyders Inszenierung der Tragikomödie „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler im Salzburger Landestheater hält sich eng an die Vorlage und reüssiert mit einer höchst achtbaren Besetzung.
Von Werner Thuswaldner
Dem Salzburger Landestheater ist es unter Philip von Maldeghems Leitung nicht zum ersten Mal gelungen, überregional besondere Erwartungen zu wecken. Das Interesse sollte sich auf die Frage konzentrieren, was denn nun Werner Schneyder aus Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“, die vor kurzem auf etlichen Großbühnen auftauchte (darunter Burgtheater Wien, Residenztheater München, Theater Basel) machen würde. Ist es nicht sehr gewagt, sich derartigen Vergleichen auszusetzen?
Gewagt ist es gewiss, so wie Schneyder das tat, indem er so nah an Schnitzler dran blieb und das Stück nicht mit „Regieideen“ aufmöbelte. Weil das Publikum bereit sein muss, auf Schnitzlers Seelenerkundung einzugehen. Gemeint ist die dünne Schicht des Wiener Goßbürgertums vor hundert Jahren, dem es nicht wie dem Heer der Zeitgenossen am Nötigsten fehlte, das es sich leisten konnte, seine Launen und Leidenschaften zu kultivieren. Gemeint sind aber vor allem Verstrickungen, Konflikte und Abgründe im Innersten der Beteiligten, die ort- und zeitlos sind.
Der eine Schauplatz des Geschehens ist die Terrasse einer Villa in Baden, die Bühnenbildner Christian Rinke als einen Art-Deco-Bau andeutet. Dass er in den kurzen Pausen zwischen den Szenen (mit Musik von Johannes Pillinger) darauf immer wieder Farbkringel von Gustav Klimt projiziiert, ist wohl ein bisschen zu viel des Guten. Der andere Handlungsort ist das Foyer eines Hotels in Südtirol. Dominiert wird der Raum von einer imposanten Dolomitenspitze, Herausforderung für jeden sportlich-ehrgeizigen Charakter.
Schneyder vertraut auf den Text und zugleich auf die Bereitschaft des Publikums, sich auf eine feinfühlige Offenlegung seelischer Zustände einzulassen. Er glaubt also nicht, dass es heutzutage nötig ist, gleichgültigen, abgebrühten, durch ausgiebigen Medienkonsum abgestumpften Zuschauern mit drastischen Effekten kommen zu müssen. Freilich riskiert er damit das vorschnelle Urteil, hoffnungslos gestrig zu sein.
Die große Überraschung des Abends besteht in der Tatsache, dass das Landestheater im Stande ist, das gar nicht personenarme Stück in höchst achtbarer Weise, ja teils hervorragend zu besetzen. Das gilt nicht bloß für die tragenden Rollen des Glühbirnenfabrikanten Friedrich Hochreiter und seiner Frau Genia. Der glaubt, auf der Höhe seines wirtschaftlichen Erfolgs, dass ihm auch im Zug seiner erotischen Eroberungen alles gelingen müsse. Für sich beansprucht er die allergrößte Freiheit, seiner Frau gesteht er sie nicht zu, sondern rast vor Eifersucht und schießt ihren jungen Liebhaber tot. Das Alphamännchen sieht sich von der nachrückenden Jugend in seiner Position bedroht. Dafür ist Hochreiter bereit, einen hohen Preis zu zahlen.
Sascha Oskar Weis spielt ihn als einen überaus dynamischen, lebenshungrigen, vordergründig vollkommen selbstsicheren Mann. Aber es bleibt nicht lang verborgen, wie verlogen und vor allem wie mühsam seine Existenz ist. Die Ehe ist schwer angeschlagen, Eifersucht ist ein dauernder Stachel und der Betrieb der abwechselnden Affären ist nicht nur reiner Spaß. Weis mimt den Gutgelaunten und macht zugleich deutlich dass das nur Fassade ist.
Franziska Becker in der Rolle der Genia ist ein Glücksfall: eine souveräne, elegante Frau, die ihren Mann, der sie akribisch überwacht, erbärmlich aussehen lässt. Aber sie zeigt auch eine starke leidenschaftliche Seite. Die Musikalität der Sprache hat bei ihr, aber auch bei anderen Darstellern, einen hohen Stellenwert. Franziska Becker hinterlässt starken Eindruck.
Mit Naivität und Hingabe zeichnet Elisabeth Halikiopoulos die kleine Geliebte Hofreiters, Erna. Temperamentvoll, gesucht originell, der Schrecken jeder Gesellschaft, das ist Frau Wahl. Britta Bayer bleibt der Rolle nichts schuldig. Tim Oberließen ist als Otto (der junge Leutnant, der Hochreiters Duellopfer wird) so gut erzogen und dabei aufrichtig und leidenschaftlich, wie er im Buche steht. Ulrike Walther stellt als Frau Meinhold-Aigner, die Scheidung und Trennung schon durchgemacht hat, eine halbe Heilige dar.
Da ist noch ein Militär (Peter Marton), der sich am Spiel des Verführens und Verführtwerdens eifrig beteiligt und so tut, als wär nichts. Der einzig Ehrliche ist Doktor Mauer (Gero Nievelstein), so aufrichtig, dass er in seiner verlogenen Umgebung scheitern muss. Der Anwalt Natter (Christoph Wieschke) durchschaut alles und spinnt genüsslich seine Intrigen. Seine Frau (Christiani Wetter) ist eine von jenen, die zu einem Abenteuer bereit sind. Kostümbildnerin Birgit Hutter hat sie wie die Aushilfe in einer Bäckerei angezogen. Mehr stilistische Stringenz im Fall der Kostüme wäre der Inszenierung angemessen gewesen.
Im Südtiroler Hotelfoyer kann sich Werner Friedl als Schriftsteller hervortun, der sich damit abfindet, betrogen zu werden, und Axel Meinhardt gibt der kleinen Rolle des Portiers Brillanz. Karlheinz Hackl als Hoteldirektor: Zu sagen, er wäre ganz der Alte, im Vollbesitz seiner Ausdrucksmöglichkeiten, vital wie eh und je, wäre gelogen. So fällt der Charmeur, den er spielt, sehr zurückhaltend aus. Genauso unangebracht wäre es zu behaupten, er verdiene vor allem Bewunderung bloß wegen seiner zurück liegenden Krankengeschichte.
Alles in allem ist diese Inszenierung ein Glücksfall für das Salzburger Landestheater.