Ich greif mir jetzt ans linke Ohr
KABARETT / MOTZART / GUNKL
07/02/12 Nicht nur, dass wir keinen freien Willen haben. Wir teilen außerdem das „Mitgefühl“ – in den Augen von Gunkl nur eine Verhaltensform - mit überemotionalen Krokodilmüttern. Die Freud’schen „großen Kränkungen der Menschheit“ geben den Titel zu Gunkls neuem Programm.
Von Magdalena Stieb
Ausgehend von den „schiachen Ikonoklasmen im Weltbild“, die sich unsere Gesellschaft konstruiert hat, um mit sich selbst zurechtzukommen, stößt der exzentrische Kabarettist das Publikum im Laufe des Abends immer wieder vor den Kopf. Das Gehirn, so müssen wir hören, spiele uns lediglich mit der „Handpuppe“ der „Iche“ (für alle diejenigen, denen die Pluralform von „Ich“ nicht geläufig war) selbstständige Entscheidungen vor. Hinzu kommt, dass wir seit langer Zeit wissen müssen, dass wir uns nicht in Sicherheit auf der flach geglaubten Erde befinden, sondern nur so irgendwie drumherum an einer Kugel hängen – dank der für Normalsterbliche völlig unverständlichen Schwerkraft.
Für wenig wichtige Entscheidungen, wie etwa sich ans Ohr zu greifen, sei das nun nicht weiter relevant, jedoch sieht die Menschheit an diesen Punkten die seit Freud formulierten Kränkungen. Gunkl, überzeugt von seinem naturwissenschaftlichen Weltbild, erkennt diese „Kränkungen“ durchaus an. Warum aber „jeder“ nur für das eigene „Ich“ und nicht für „alle“ Sorge empfindet und dementsprechend abstrakte Problematiken wie die des Gesellschaftssystems oder der Wirtschaft nicht von Interesse sind, bleibt für den Kabarettisten in seiner vom Hin und Her zwischen Gefühl und Verstand geprägten Autopsie der Menschheitsgeschichte schlicht ein naturgegebener Egozentrismus. Dementsprechend sind dem guten Hirten auch „alle“ Schafe egal, wenn er aufbricht, um das eine entlaufende Schaf zu suchen, denn „jedem“ Schaf gilt seine Sorge. Worin der wesentliche Kern des Problems liegt, macht Gunkl damit nach der Pause unmissverständlich klar: Wenn es einen Gott mit monotheistischem Anspruch gibt, der im ersten Gebot keine weiteren Götter neben sich duldet, dann sei dies ebenso unlogisch, wie zu verlangen: „Du sollst kein drittes Knie haben!“
Mit Schärfe, intelligenten Wortspielereien und auf den (schmerzhaften) Punkt gebrachtem Wiener Schmäh führt Gunkl in seinem unverblümten Monolog die sich seit der Zeit der Aufklärung auf die Vernunft berufende Gesellschaft an ihre Grenzen. Davor, die „Problemzonen“ der menschlichen Gesellschaft in ironischem Ton anzusprechen und zu demontieren, schreckt Gunkl nicht zurück. Wie nebenbei entwirft er eine Art Handlungsethik für eine mögliche bessere, friedlichere Gesellschaftsform. Dass sein Auftritt nicht mit lautem Lachen des Publikums beschlossen wird, sondern vielmehr nachdenkliches Schweigen dem Applaus vorausgeht, scheint mit dem durchscheinenden humanistischen Grundton den eigentlichen Wert der Gunkl’schen Programme aufzudecken.