Hölle mit Zebrastreifen
SCHAUSPIELHAUS / GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT
23/11/11 Die Hölle, oder doch nur der Vorhof zur Hölle? Ob die gepolsterte Türe der Ausgang ist oder ob hinter ihr noch etwas viel Schlimmeres lauert, erfahren wir nicht wirklich. Was jedenfalls klar ist: Den Ort verdient haben sie alle drei.
Von Reinhard Kriechbaum
Estelle hat ihr Kind ertränkt und den Geliebten in den Selbstmord getrieben. Inés hat ihren Cousin und dessen Freundin auf dem Gewissen. Und Garcin hat vor seiner Frau auf unerträgliche Weise den Macho gespielt, im entscheidenden Moment sich aber feige davon gemacht. Der wehleidige Kerl macht jetzt auf Sensibelchen und klagt: „Ich bin kein salonfähiger Toter.“
Die anderen sind eher salonfähig: Estelle versucht die Facon zu bewahren, indem sie alles leugnet. Inés, die Persönlichkeitsstärkste in diesem Trio infernale, steht voll und ganz zu sich, zu ihrer Schuld. Sie wird nolens volens zur Strippenzieherin, weil sie gleich durchschaut, dass die drei füreinander als Katalysatoren der Schuldaufdeckung gedacht sind: „Es fehlt der Folterknecht … eine Personaleinsparung.“ Indem sie gegenseitig in den Wunden bohren, werden die drei einander die Hölle bereiten.
„Geschlossene Gesellschaft“ von Jean-Paul Sartre, das Vorzeigestück des Existenzialismus. Menschen, „dazu verurteilt, frei zu sein“, haben modellhaft wahr gemacht, was Sartre in „Das Sein und das Nichts“ (1943) klar gesagt hat: „Was mir zustößt, stößt mir durch mich zu.“ Keine Ausrede auf Schicksal oder Gott ist möglich.
Die Herausforderung, die philosophischen Sentenzen in ein Konversationsstück zu übersetzen, ist in der Christoph Bartscheider als Regisseur im Schauspielhaus mit einer noch jungen Crew ansehnlich gelungen. In Licht-Blenden werden sie hineingestellt ins Höllen-Laboratorium, das einem Wartezimmer aus den sechziger Jahren gleicht. Erst sondern sie recht unbeholfen jene Sentenzen, die ihnen in der neuen Situation passend erscheinen. Wie von selbst kommen Dialoge und damit die emotionalen Mechanismen in Gang.
Estelle (Christiane Warnecke) gibt sich besonders gespreizt und betont ihre Damenhaftigkeit mit einer Extraportion Lippenstift. Inés (Constanze Passin), die Lesbische, trägt ihre Wesensart so wie die unmodische graue Hose. Unangepasst und doch auch nach Anerkennung gierend. Garcin (Oliver Hildebrandt) wirkt mit seinem Hut eigenartig wie ein Dandy, der sich gründlich in der Location geirrt hat. Das ist nicht ohne Klischees, aber schlüssig herausgearbeitet, allen drei Schauspielern gelingt es, so doppelbödig zu bleiben, wie es Sartres Text eben zulässt.
Dass der Erfolg des Stücks daran liegt, dass Sartre seine Philosophie in boulevardesken Häppchen verabreicht, wird durchaus deutlich. Man könnte auch sagen: Wenn man „Geschlossene Gesellschaft“ heute auf den Theater-Prüfstand stellt, dann stellt sich durchaus der Eindruck ein, man sollte in einer Zeit der Ich-AGs und der Entsolidarisierung zu kräftigeren Plots greifen. „Geschlossene Gesellschaft“ hält nur mal die existenzialistischen Basics bereit.
Dessen ungeachtet: eine Aufführung so rund wie das Bühnenbild (Tobias Kreft): ein Oval mit umlaufender Kunstlederbank, mit aufdringlicher Zebramuster-Tapete, dass einem fast schwindelig wird. Die Hölle zeigt nicht uncharmanten Retro-Look.