Bis auf’s Blut
KAMMERSPIELE / FRÄULEIN JULIE
14/11/11 … trotzdem kurz und schmerzlos handeln Julie und Jean ihren Beziehungskrieg in einer einzigen Mitt-Sommernacht ab. Statt Schwedenfolklore gibt es in den Kammerspielen eine leere Bühne, ein paar Holzbänke (nicht von IKEA) und eine Wand, auf die das Nötigste mit Kreide gezeichnet und geschrieben werden kann.
Von Heidemarie Klabacher
Adeliges Gör provoziert Kammerdiener, dieser - auch nicht fein - reicht nach vollzogener Verführung das Rasiermesser: Ist sie doch jetzt weniger wert als er, der aus der Gosse kam. Geliebt hat man sich nicht. Und selbst wenn, hätte so eine Beziehung keine Chance. Da blieb 1889 anscheinend nur der Selbstmord, der Frau natürlich. Was Stringberg, der zeitlebens ein bekannt schwieriges Verhältnis zum weiblichen Geschlecht hatte, vielleicht mit Genugtuung erfüllt, ihn aber nicht daran gehindert hat, den Diener Jean als echten Schweinehund zu zeichnen.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (Gesindeküche) würde man das heute ganz sachlich nennen und ein gar so drastisches Ende müsste die entzauberte Sommernacht im Morgengrauen auch nicht mehr nehmen.
Natürlich geht es um Macht und um ihre Ausübung in ihrer Spielform „Sexualität“. Dass ausgerechnet zwei selber Machtlose, Gefangene starrer gesellschaftlicher Strukturen, aneinander geraten mussten, gibt Strindbergs „naturalistischem Trauerspiel“ jenen Touch von Zeitlosigkeit, der darüber hinweg sehen hilft, dass es die mit derart tödlichem Stacheldraht bewachten Standesgrenzen nicht mehr gibt.
Regisseurin Agnessa Nefjodov hat sich mit einer geradlinigen klaren Regie auf ausgeräumter Bühne bemüht, das zeitlos Aktuelle herauszuarbeiten oder hineinzubringen. Zu sehen auf der von Eva Musil ausgestatteten Bühne: Glühbirnen-Ketten am Plafond, ein paar Holzbänke und eine Tafel, auf die alles Nötige - Reisroute oder Kanarienvogel - gezeichnet und geschrieben werden kann. Keine weitere Sommernachts-Romantik, nur ein paar Blätter-Silhouetten im Hintergrund. Das ist ein wohltuend abstrakter Rahmen für die blutig geführte Schlacht, die - von der Vision einer gemeinsamen Zukunft als Hotelierehepaar am Comosee bis zur wüsten Beschimpfung - alles in Treffen führt, was die verletzte Seele nur aufzubieten vermag.
Christiani Wetter ist ein selbstbewusstes „Fräulein“ Julie (was man in Gender bewussten Zeiten ja gar nicht mehr sagen darf, sondern dringend durch „Frau“ Julie ersetzen müsste). Christoph Wieschke ist der zunächst harmlos, ja gutmütig wirkende Diener Jean. Der Unterton, mit dem er seine „Herrin“ warnt, das Spiel noch länger weiter zu treiben verheißt aber nichts Gutes. Zweimal eine ausgezeichnete schauspielerische Leistung, an einem gar nicht gemütlichen Abend.