Gesicht der Zukunft
KAMMERSPIELE / SCHÖNE NEUE WELT
25/05/11 Embryonen werden in Flaschen heran gezüchtet, Fortpflanzung findet ausschließlich im Labor statt. Wie nah sind wir dran an der schönen neuen Welt, die Aldous Huxleys 1931 geschriebener Roman zeichnet? Dieser Frage versucht das Team rund um Marco Dott in der aktuellen Landestheaterproduktion „Schöne neue Weltnachzugehen. Premiere war am Dienstag (24.5.) in den Kammerspielen.
Von Nina Ainz
Wörter wie „Mutter“, „Familie“ und „Schwangerschaft“ gelten als obszön. Die Menschen sind eingeteilt in fünf verschiedene Kasten (Alphas, Betas, Gammas, Deltas und Epsilons), die streng nach ihrer sozialen Stellung und ihren Arbeitsbereichen aufgeteilt sind und die von allen dank jahrelanger Konditionierung widerstandslos akzeptiert werden. Promiskuität ist die Norm, Monogamie unvorstellbar: „Jeder gehört jedem“, lautet die Devise.
Die Menschen werden ruhiggestellt durch Soma, eine Droge ohne Nebenwirkungen, aber mit sofortiger stimmungsaufhellender Wirkung. Nur in „Wilden-Reservaten“ gibt es noch Menschen, die sich natürlich fortpflanzen und feste Bindungen eingehen. Der moderne Mensch aber verschafft sich immer fortwährende Lust durch Konsum, virtuellen Sex und Wellness.
So sieht sie aus, die schöne neue Welt Huxleys, dessen Roman sich seit seinem Erscheinungsjahr ungebrochener Beliebtheit erfreut. Marco Dott, seit 2009 künstlerischer Leiter der Kinder- und Jugendsparte des Landestheaters „Junges Land“, hat sich des Stoffes angenommen und ihn zusammen mit einem hochmotivierten Ensemble auf der kleinen Bühne der Kammerspiele umgesetzt.
In nicht ganz zwei Stunden bringen sie Huxleys Anti-Utopie schwungvoll, aber nie ohne den nötigen Ernst auf die Bühne. Hier und da wurde behutsam etwas modernisiert; wohl auch, um der vornehmlich jungen Zielgruppe (das Stück wird Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren empfohlen) den Zugang etwas zu erleichtern.
Da wird zum Beispiel das Internet ganz selbstverständlich in die Handlung eingeflochten. Anders als im Roman haben die Charaktere nicht einmal noch „echten“, sondern nur noch virtuellen Sex mit Hilfe von „Feelies“, fröhlich blinkenden Brillen, die sexuelle Befriedigung ohne Körperkontakt ermöglichen. Wo es bei Huxley lediglich heißt, die Menschen würden durch Sport und Kosmetik nicht mehr altern, werden hier die Schlagwörter Schönheits-OPs und Frischzellenkuren genannt, um die jungen Besucher und Besucherinnen darauf aufmerksam zu machen, dass auch wir uns schon längst auf dem besten Weg zur ewigen Jugend befinden.
Ansonsten bleibt alles beim Alten: „632 nach Ford“, also im Jahre 2540 nach unserer Zeitrechnung, ist die Welt erstmals im Gleichgewicht. Effizienz ist das höchste Gut dieser Gesellschaft, in der maximale Triebbefriedigung die Menschen ruhigstellt und ihnen scheinbar größtmögliche Freiheit verschafft. Dem Alpha Bernard Marx, einem Psychologen im „Hatchery and Conditioning Centre“, fällt es schwer, sich dieser Welt anzupassen. Er weigert sich, Soma einzunehmen und verbringt seine Zeit lieber allein, als in Gesellschaft. Trotzdem fühlt sich die Laborantin Lenina Crowne zu ihm hingezogen und fährt mit ihm in den Urlaub in ein „Wilden-Reservat“. Dort lernen sie John kennen, einen „Wilden“, der auf natürlichem Wege zur Welt kam und dessen Mutter Linda einst ebenfalls im Centre arbeitete und während eines Urlaubs versehentlich im Reservat zurückgelassen wurde. John entschließt sich, mit Bernard und Linda in die Zivilisation zurückzukehren. Dort angekommen stellt er jedoch mehr und mehr fest, dass er mit den dort herrschenden Wertvorstellungen ganz und gar nicht zurechtkommt.
Es ist trotz des unangenehmen Stoffes ein Vergnügen, den Schauspielern von „Schöne neue Welt“ zuzusehen. Gerade der Chor sorgt mit einer netten Choreographie für Erheiterung im Publikum. Es ist herrlich mitanzuschauen, wie sich die konditionierten Menschen am Boden krümmen, wenn das Wort „Mutter“ fällt. Sebastian Fischer spielt einen in seiner Fassungslosigkeit über die schöne neue Welt sehr überzeugenden „wilden“ John, der mit den Werken Shakespeares aufgewachsen ist und mit diesem Bildungsgrundstock wenig mit der sterilen Realität der modernen Gesellschaft anfangen kann. Anna Unterberger als Lenina schafft spielerisch den schwierigen Spagat zwischen angepasster Betafrau und sympathischem Objekt der männlichen Begierde. Tim Oberließen spielt den eigenbrötlerischen Bernard Marx, der an seinem gesellschaftlichen Aufstieg zugrunde geht, und lässt dabei die Zerrissenheit dieses Charakters sehr gut zur Geltung kommen.
Besonders gelungen ist auch die Ausstattung von Manuela Weilguni: Der Bühnenraum bleibt der futuristischen Ästhetik treu, ist in Neonlicht getaucht und äußerst puristisch gehalten. Auch die Kostüme sind hervorzuheben: Die tapferen Erdenbürger von morgen tragen schicken weiß-hellgrauen Einheitslook, die soziale Kaste zeigt sich in kleinen Unterschieden in Schnitt und Form der Kleidung. Nur die „Wilden“ sehen zu keinem Zeitpunkt annähernd so dreckig und abstoßend aus, wie es im Roman der Fall ist.
„Schöne neue Welt“ ist eine äußerst gelungene Bühnenadaption von Huxleys Klassiker, der nach wie vor nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat und ausdrücklich zu empfehlen ist für Menschen jedes Alters, die keine Angst davor haben, unserer möglichen Zukunft ins abstoßende, aber faltenfreie Antlitz zu schauen.