Die Ansichten des Herrn Lehrers waren mir oft zu jung
LANDSTHEATER / JUGEND OHNE GOTT
15/04/11 Seit der sechsten, siebten Klasse sind ja doch einige Jahrzehnte vergangen. Also hat man - bis kurz vor und auch noch nach dem Theater - einen irgendwie altmodischen aber sehr guten Roman mit Gewinn nach-gelesen. Leider musste man sich zwischendurch auf der Bühne eine simpel bebilderte „dramatisierte“ Fassung anschauen.
Von Heidemarie Klabacher
Die Geschichte vom Lehrer, der an seinen nazi-indoktrinierten Schülern schier verzweifelt, aus Feigheit Schuld auf sich lädt, die Wahrheit sagt und mit seinem Beispiel andere ebenfalls zur Wahrheit ermutigt, bekommt bei der Wieder-Lektüre beinah’ märchenhafte Züge: „Und wenn er nicht gestorben ist, der Lehrer, dann unterrichtet er noch heute Negerkinder in Afrika…“
1938 durfte/musste man „Neger“ sagen. Ob der Suhrkamp-Verlag nicht doch endlich eine politisch korrekte Fassung von „Jugend ohne Gott“ herauszugeben hätte, wäre zu diskutieren. Mark Twains „Huckleberry Finn“ in Amerika erscheint jedenfalls neuerdings ohne das N-Wort. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück ins Landestheater.
Dort exerzieren und marschieren auf schiefer Ebene Mädchen und Burschen - ein militärhistorisches Unding - sehr ordentlich gedrillt in Wald und Flur: paramilitärische Übungen in den Osterferien, ganz wie von der NS-Schulbehörde vorgeschrieben. Die Schüler und ihre Darsteller kennen viele Fahrten- und Kampflieder und können sie beim Marschieren mehrstimmigen Sätzen absingen. Und das Marschieren haben sie von einem echten Bundesheer-Hauptmann (Presseoffizier Gerald Gundel) gelernt.
Schüler Z führt in der Nacht bei Kerzenschein Tagebuch. Schüler N ist aus politischen und persönlichen Gründen (dekadente Überschätzung des eigenen Ich bzw. Störung der Nachtruhe im gemeinsamen Zelt) dagegen. Weil im Lager gestohlen wird und auch sonst seltsames passiert, erbricht der Lehrer, in der Hoffung auf Aufklärung, das Kästchen mit dem Tagebuch. Schüler N wird erschlagen, Schüler Z gesteht den Mord…
Der Hintergrund aus politischer Indoktrination, elterlicher Vernachlässigung und pubertärer Not wird von Ödön von Horváth meisterhaft und vielschichtig gezeichnet. Der Lehrer, ein guter Mensch mit Hang zum Selbstzweifel, trägt in seiner Zerrissenheit beinah messianische Züge, und er predigt auch: „Sie hassen mich. Sie möchten mich ruinieren, meine Existenz und alles, nur weil sie es nicht vertragen können, daß ein Neger auch ein Mensch ist. Ihr seid keine Menschen, nein. Aber wartet nur, Freunde … ich werde euch von nun ab nur mehr erzählen, daß es keine Menschen gibt, außer euch, ich will es euch so lange erzählen, bis euch die Neger rösten.“ Oder: „Ja, Gott ist schrecklich, aber ich will ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Mit meinem freien Willen. Einen dicken Strich. Ich werde uns alle retten.“ Oder: „Der Himmel ist zart, die Erde blaß. Die Welt ist ein Aquarell mit dem Titel: ‚April’.“
Problem bei diesen verzweifelten, kämpferischen oder poetischen Auslassungen: Wenn man sie, die im Roman nur Markierungen innerhalb des sonst durchaus sachlichen Berichtes sind, mit großer Geste auf der Bühne deklamiert, wird Pathos und Kitsch daraus.
„Wem erzählen Sie das? möchte ich ihn fragen, aber ich sage nichts dergleichen“, heißt es im Buch. Da wird tatsächlich nur zugehört. Und die ganze Liebesgeschichte mit dem diebischen Mädchen erzählt Z mit viel indirekter Rede - „Sie fragte mich, wer ich wäre“ - seinem Tagebuch.
Das ist das Problem der Dramatisierung (warum bloß dramatisiert man immer noch Romane?) und damit der Aufführung: Die Geschichte wird eins zu eins in einfachste Bilder und Szenenfolgen übersetzt. Á la Morgenstern: „Auf einer Bühne steht ein Baum geholt vom nächsten Wäldchensaum - ihn überragt zur rechten Hand ein Felsenstein aus Leinewand…“
Trotz der eifrigen jungen Rekrutinnen und Rekruten, großteils für diese Kooperation von der Abteilung Schauspiel des Mozarteums angeworben, haftet der Produktion etwas verstaubt Museales an, ein altes Propagandabild ohne ironische Brechung, ohne analysierende Distanz.
Immerhin marschieren DIE ja wieder - oder noch immer. Es werden „prominente“ Ewiggestrige verhaftet, es werden Nazi-Websites gelöscht… Der historische Hintergrund von „Jugend ohne Gott“ ist einfach noch nicht „historisch“ genug und auch noch längst nicht „aufgearbeitet“ genug, um ihn so zu versimplifizieren (Das wahre Ausmaß des Grauens der Nazi-Zeit hat der 1938 von einem umstürzenden Baum in Paris erschlagene Ödön von Horwáth vermutlich gar nicht geahnt, als er 1937 in Henndorf bei Zuckmayer mit "Jugend ohne Gott" seinen zweiten Roman geschrieben hat.)
Und die Probleme junger Menschen jeglicher Zeit - von Selbstfindung bis Sexualität - müssen schon gar nicht in feldgrau daherkommen. An wen die Produktion sich richten könnte, wollte sich bei der Premiere am Donnerstag (14.4.) jedenfalls nicht erschließen.