Kleiner Grenzverkehr
KAMMERSPIELE / HIN UND HER
27/03/25 Ein rares Stück, über neunzig Jahre alt und doch so, als könnte es heute geschrieben sein: Hin und her, Ödön von Horváths Posse zwischen Lebensphilosophie und dem konkreten Fall eines Staatenlosen, in den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters.
Von Erhard Petzel
Als das Stück 1933 entstand, spiegelte die Basis seiner Handlung auch die Lebenssituation des Autors. Wie sein Protagonist Ferdinand Havlicek war Ödön von Horváth vom deutschen Staat angehalten, seine ungarische Staatsangehörigkeit zu erneuern. Da der Kosmopolit bereits als unerwünschte Person mit Aufführungsverbot belegt war, nutzte er diese Gelegenheit zum Absprung. Die Erfahrung der Auslieferung an staatliches Grenzmanagement verwandelte Ödön von Horváth in eine schrille Komödie. Das ist wahrscheinlich die adäquate Form zum possenhaften Gebaren staatlicher Instanzen mit verheerender Wirkung auf persönliche Extremlagen. Revuegemäß auch die Musik von Hans Gál zur Uraufführung in Zürich 1934.
Eine Brücke – ursprünglich Titel gebend – steht im Zentrum. Dass es hier keine Drehbühne gibt, wie sie sich Horváth vorgestellt hat, ist kein Schaden. So ist die Szenerie auf das Wesentliche reduziert. Die beiden Zollstationen der Staatsgebilde auf beiden Seiten gleichen sich als rudimentäre Eingänge. Die Brücke ist gerade ein mageres Holzgestell. Eine Insel inmitten des Gerinnes bietet Platz für den geforderten Handlungsspielraum (Bühne: Erich Uiberlacker). Da die kleine Bühne der Kammerspiele das Geschehen auf engem Raum konzentriert, wird die Dimension der Brücke über den Marsch des Antihelden als Choreografie zur eingespielten Musik imaginiert.
Ferdinand Havlicek ist als Drogist in die Krida geschlittert und soll in sein Geburtsland abgeschoben werden. Da er jedoch übersehen hat, seine Staatsbürgerschaft regelmäßig zu erneuern, wird er dort nicht aufgenommen. So wird er von den Grenzposten ständig hin und her geschickt (dabei als Kurier für Unfreundlichkeiten zwischen diesen missbraucht), bis er schließlich auf der Brücke übernachtet.
Georg Clementi gibt dieser Figur plastische Kontur zwischen resignierter Unterwürfigkeit, ironischem Witz und aufgebrachter Wut, ohne den Ton des abstrakten Charakterkomödianten ganz einzubüßen. Luca-Noél Bock gibt den überkorrekten Grenzbeamten Konstantin (Typ deutscher Streber), verliebt in Eva (Anna Rosa Döller). Die emanzipiert sich für diese Beziehung von ihrem Vater, dem kakanisch-schludrigen Grenzbeamten der Gegenseite, Szamek. Axel Meinhardt hat zusätzlich aber noch die Rollen des Verbrechers Schmugglitschinski und des Ministerpräsidenten Y zu spielen. Simon Jaritz-Rudle musste kurzfristig für den erkrankten Marco Dott einspringen und ebenfalls drei Rollen bravourös stemmen: den Polizisten Mrschitzka, den Ministerpräsidenten X und die Schmuggler-Komplizin Frau Leda.
In der Regie von Claus Tröger finden diese Figuren zu einem überzeugenden Charakterspiel ihrer Rollen im Spannungsfeld von Klischee, Sujet und Figur. Bei Patrizia Unger ist der Bogen zur Überzeichnung fallweise vielleicht etwas überspannt.
Inhaltlich hat das Stück nichts an Aktualität eingebüßt und könnte auch heute geschrieben worden sein. Ein soziologischer Höhepunkt ist die Begegnung der Ministerpräsidenten beider Länder inkognito auf der Brücke. Beide verwechseln den hier gestrandeten Havlicek mit dem erwarteten Pendant. Havlicek wird damit zum adäquaten Botschafter fast identischer Standpunkte aus entgegengesetzter Perspektive. Die beiden Eliten-Vertreter unterwerfen sich aber dem Zwang öffentlicher Meinung und sehen sich wegen des Aufkommens dieses vermeintlichen Skandals zum Rücktritt gezwungen. Es kommt für die beiden noch schlimmer, sie werden von Szamek als vermeintliche Schmuggler verhaftet und drangsaliert.
Wird zunächst der Sinn von Grenzen prominent infrage gestellt, singt man im finalen Glück ein Hohelied auf eben diese. Eine Wohltat das Singen des Ensembles ohne Mikrophon. Erfrischend auch der Umstand, dass es durch die Mehrfachrollen zu erheblicher Improvisation kommt. Nebenrollen wie Pädagoge und Tochter sind ohnehin gestrichen. Es ist sogar recht witzig, wenn Jaritz-Rudle abwechselnd die Position von Mrschitzka und Frau Leda einnehmen muss. Den Regeln der Posse geschuldet, kommt es für alle zu einem guten Ende, mit Doppelhochzeit und Einbürgerung. Damit hat die Kunst dem realen Leben doch einiges voraus.
Aufführungen bis 24. April – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christian Krautzberger