Die einen zerstören, die anderen retten

KLEINES THEATER / DER UHRMACHER VON EVA BRAUN

04/04/24 Es geht hier weniger um eine historische Perspektive oder ein biografisches Sittenbild. Bernard Da Costas Kammerspiel Der Uhrmacher von Eva Braun jongliert mit Themen und Motiven und wirkt damit eher wie eine Komposition nach musikalischer Dramaturgie als eine Darstellung von Geschichte.

Von Erhard Petzel

Natürlich ein Stück Zeitgeschichte, denn in der Aufführung im Kleinen Theater fängt das Bühnenbild mit wenigen Elementen die Lokalität des Führerbunkers geschickt ein. Ein ständiges Wummern simuliert den Sturm auf Berlin. Aufgebaut ist das Drama um drei Figuren, deren hierarchische Bedeutung anhand ihrer unausweichlichen Fallhöhe bestimmt wird. Während der Uhrmacher (Christian Zink), ein KZ-Häftling, und der ihn bewachende Soldat (Daniel Pink) auf der Bühne dem Spielbeginn entgegen harren, rauscht Eva Braun (Lydia Nassall), ganz Primadonna, zur großen Gala-Show in eigener Sache. Auf ihr liegt auch die Hauptlast des Textanteils und der schauspielerischen Differenzierung. Ihre inneren Monologe sind immer auch äußere Inszenierung.

Anders der Soldat, dessen Figur zwischen der Erkenntnis des Monströsen seines Tuns und seiner vitalen Eigeninteressen schwankt. Er kann im KZ-Häftling durchaus noch den Menschen mit fundamentalen Bedürfnissen sehen, hat er doch auch die Erfahrung des Mangels und das Bewusstsein für einen eigenen Opferstatus. Nicht nur an den Stellen, wo er sich erklärt, bleiben innere Monologe etwas ungelenk, sie sind in Form von Ansprachen an den KZ-Häftling auch nicht restlos überzeugend. Natürlich scheitert er am Begehren Eva Brauns, sie als finalen Akt ihrer Existenz noch einmal so richtig durchzuvögeln, weil er trotz seines Zustands als Befehlsempfänger von der Wucht des Einbruchs in seine Intimsphäre durch diesen monströsen Befehl überfordert ist. Den Versuch der Selbstrettung vor der Erstürmung des Bunkers, indem er den KZ-Häftling zum Kleidertausch zwingen will, führt er nicht ausreichend beherzt aus. Im Gegensatz zu Eva Braun fällt er unbeabsichtigt.

Das Gegenzentrum zu Eva Braun bildet der KZ-Häftling, eine völlig stumme Rolle. Seine inneren Monologe sind eingespielt. Wie die Hitlerbraut ist er auf die Uhrwerke fixiert, die er die ganze Zeit über zu reparieren hat. Er selbst funktioniert völlig mechanisch. Die Anlage des Stückes wird in diesem Gegensatz deutlich. Hier die Lebedame, die sich einem menschlichen Ungetüm der eigenen Karriere wegen angedient hat. Ihr Faible für ihre Uhrensammlung ist zum Fetisch geworden und zugleich zum Fundament einer trivialen Philosophie, an die sie sich klammert. Während sie aber in der Beständigkeit der Uhrwerke das die Zeit Überdauernde sieht (weshalb ihr nichts mehr zuwider ist als deren Fehlfunktion) und vom wunderbar Reparierten fallweise die Hoffnung auf Rettung ableitet, arbeitet der Uhrmacher um sein ständig gefährdetes Leben und kann dieses als Einziger erhalten, indem er den finalen Kampf um seine klägliche Existenz beherzt ausführt.

Lydia Nassall und Christian Zink verkörpern diesen monströsen Gegensatz in kongenialer Weise. Dem eisernen Schweigen und der absoluten Verweigerung des Häftlings steht die in emotionellen Stürmen schralende und in ihrer zerbrechenden Machtposition prahlende Karrierefrau gegenüber: „Es gibt die, die zerstören, und die anderen, die retten.“

Alle drei leben das Konzept der Unterwerfung unter die Macht von oben und der Anpassung der eigenen Wirkmächtigkeit nach den äußeren Maßgaben. Der Soldat bleibt in dieser Konstellation naturgemäß am farblosesten, weil am nächsten dem allgemein Menschlichen. Alle zeichnet hingegen eine eigentümliche Unbestimmtheit aus, in der sie weniger Individuen als Archetypen darstellen. Diese karge Fassbarkeit findet sich im Bühnenbild von Alois Ellmauer visualisiert. Zeit und Raum verschmieren sich im eingeblendeten Laufband mit Kommentaren zum Vorrücken der feindlichen Armee. Helmut Vitzthum entwickelt in seiner Regie jeder Figur den zeitlichen Raum zur Entfaltung, sodass die Ideen zu Bühnenmenschen werden und die intellektuelle Auseinandersetzung um den Kern des Menschlichen zur Handlung. Wo das Gewummer der Einschläge in der Hauptsache den Klanghintergrund bildet, entfalten der Choral zu Beginn und das Ticken der Uhren zum Schluss ihre tiefgehende Wirkung.

Nächste Aufführungen am 11., 12., 19. und 20. April – www.kleinestheater.at

Bilder: Freie Bühne Salzburg / Chris Rogl