Der Boxkampf zwischen Ariadne und Theseus
SALZBURGER LANDESTHEATER / ARIANNA
12/04/10 Bacchus als künftiger Göttergatte verspricht nicht die Sterne vom Himmel, sondern er kündigt an, dass die Verehrte dereinst droben als Sternbild leuchten wird. Die Anmache zieht nicht bei Frauen, und schon gar nicht bei Ariadne. Die ist ja schon bedient genug auf der öden Insel - Gespons Theseus hat sich mit Ariadnes Schwester abgesetzt.
Von Reinhard Kriechbaum
Die "echte" Mythologie ist ein klein wenig zurechtgebogen in Benedetto Marcellos nun fürs Salzburger Landestheater ausgegrabener Oper "Arianna" - zugunsten einer sehr realen Beziehungskiste, aus der sich auch heute was machen lässt. Eine überraschend schlanke Personnage für eine Barockoper: Theseus und Phädra als frisch verliebtes Paar. Ariadne, die Betrogene, hat Bacchus als ziemlich eitlen Verehrer am Hals. Bacchus landet nicht bei Ariadne, solange die alten Liebes-Wunden nicht verheilt sind. Selbst als Gott überzieht man leichter eine Ägäis-Insel mit Weinreben, als dass man ein eifersüchtiges und verletztes Frauenherz heilt.
Der Venezianer Benedetto Marcello (1686-1739) war Diplomat im Hauptberuf, aus Neigung Dichter und Komponist. Blockflötisten spielen seine Sonaten gern. Als Satiriker hat er an Vivaldi sein Mütchen gekühlt (mit dem Buch "Il teatro alla moda"). Als Opernschöpfer hat er eine andere "Mode" betrieben: Da herrscht barocker Expressionismus vor, ein Hang zum Kantigen. Benedetto Marcello dreht stark an der Ausdrucks-Schraube. Das öffnet dem Mozarteumorchester, das vom Barockspezialisten Matthew Halls innig vertraut gemacht worden ist mit der Rhetorik der Zeit, beste Möglichkeiten. Nachdem die dann doch etwas überdreht geratene Ouvertüre mal überstanden ist (im Venedig der Vivaldi-Zeit gab's virtuosere Geiger als im heutigen Salzburg), wandelt sich das Bild, und man glaubt manchmal im Orchestergraben Hitzköpfe à la "Il giardino armonico" zu hören. Das tut der oft unschematisch erdachten, gelegentlich in unerwartete Tonarten schwenkenden und in den Melodien manchmal lieblich, dann wieder erstaunlich schroff formulierten Musik gut.
Eine Episode ist besonders auffällig: eine Art Bekenntnis-Arie der Ariadne, ein kunstvoller, "gebrochener" Trio-Satz von Sopran und zwei Flöten. Das ist erstens für sich stehend ein tolles Stück. Und zweitens markiert es in der Dramaturgie einen Moment der allgemeinen Ratlosigkeit und Desillusionierung. Wird Theseus es sich noch einmal überlegen? Alles scheint für einen Moment offen. Solche Gefühls-Wahrhaftigkeit taucht später bei Händel (in Sternstunden) und dann erst wieder bei Mozart auf.
Guter Grund also, "Arianna" wieder zu spielen. Es war erst Aufführungsmaterial herzustellen. Landestheater Salzburg und der Peters-Verlag (der das Material herausbringt) haben gemeinsame Sache gemacht. Ein Gewinn für die Opernbühne, ganz gewiss - und eine schöne neue Facette im nicht gerade üppigen Salzburger Opern-Portfolio unterm Jahr.
Karolìna Plicková ist eine Arianna, der man die Daumen drückt für ihr künftiges Liebesleben - nicht nur, weil sie Leiden, Enttäuschung, Rachegelüste und zwischen Trotz und Aufrichtigkeit pendelnde Liebe so natürlich und unprätentiös zu vermitteln weiß. Die technisch bestens geschulte Sängerin lässt sich nicht ein einziges Mal zu überdreht wirkendem Affekt verleiten, da mag es im Orchester noch so hitzig hergehen.
Überhaupt zeichnet Balance die Aufführung aus. Marcell Bakonyi ist ein schlank artikulierender Bacchus mit gut fokussierter Stimme auch in exponierter Bewegung. In Hubert Wild hat er einen buffonesken Diener (Sileno), der witzig mit unterschiedlichen Stimmregistern spielt. John Zuckerman ist Theseus. In der Höhe wirkt seine Tenorstimme manchmal nicht ganz frei, aber er schafft ansehnlich lange Koloraturbögen und ist wie all seine Kolleginnen und Kollegen stilistisch auf eine Linie eingeschworen. Schade, dass man in den Da-Capo-Teilen nicht wirklich mutig verziert. Als Phaedra steht Linda Sommerhage sozusagen zwischen allen Fronten, auch diese Partie hält musikalisch differenzierte Stimmungsbilder bereit. Und auch der Chor tritt effektvoll hervor (und aus ihm wieder lösen sich meist in Duos Satyrn und Nymphen).
Mit solchen mythologischen Wesen hat Regisseur Jim Lucassen aber nichts am Hut. Er hat die Handlung von der öden Insel an einen nicht weniger öden Unort verlegt, der ein Hotelrestaurant im ehemaligen Osteuropa sein könnte. Da wechseln Hochzeits- und Faschingsgesellschaften, man schlüpft schnell mal in Brautkleider hinein und auch wieder heraus. Kein schlechtes Ambiente für eine in der Personenzeichnung sehr aufmerksame und mit nicht wenig Hang zur Ironie gehaltene Regie. Jim Lucassen arbeitet mit Mitteln der Pantomime, manchmal lässt er Szenen in Zeitlupe ablaufen. Ein Boxkampf zwischen Ariadne und Theseus (mit Bacchus als Coach für die Dame), mit knallroten Boxhandschuhen - solche originelle "Traumszenen" machen gehörig Effekt und entsprechen der gelegentlich bizarren Musiksprache des Benedetto Marcello. Aber zugleich richtet Jim Lucassen die Aufmerksamkeit auf kleine Gesten, und psychologische Vorgänge wirken immer sehr genau in Mimik und Bewegung umgesetzt. Eine zeitlose Geschichte von daneben gegangener Liebe - und was sich der Regisseur fürs eigentlich obligatorische "Lieto fine", die Wendung zum Guten hin, ausgedacht hat, darf man natürlich nicht ausplaudern.