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Die verstörende Poesie des Monströsen

WINTERFEST / OBLUDARIUM

20/12/13 Riesen und Zwerge, Missgeburten und Krüppel, Affen und Tanzbären – auf den Jahrmärkten ist es Jahrhunderte lang gar nicht zimperlich zugegangen. Political Correctness wurde ohnehin erst jüngst erfunden - und die Forman Brothers haben sie außer Kraft gesetzt. Ihr wundersames Zelt birgt ein Theater der Grausamkeit. Ihre international gefeierte Produktion „Obludarium“ verzaubert und verstört.

Von Heidemarie Klabacher

529Gnadenlos treibt die Zirkusprinzessin ihre Pferde an, peitscht sie zu immer noch schnellerem  Galopp – und schließlich gar zu Tode. Das eine Pferd, das stolze riesengroße Tier, ist aus Holz, eine überdimensionale Gliederpuppe, die von der Decke baumelt und nur von der Artistin zum Leben erweckt und zu Tode gebändigt wird. Die kleinen Pferdchen sind gar nur Schattenwesen: Für diese Nummer baumelt die Tierbändigerin selber von der Decke, ihr weißer Rock wird immer länger und weiter, füllt schier das ganze Zelt aus – und wird zur wild kreiselnden Projektionsfläche für den rasenden Galopp der Schattenpferde.

Etwas Kleines wird von der Decke heruntergelassen. Ein winziger Käfig? Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch beobachtet man, wie derselbe Käfig „in groß“ nachkommt. Details sieht man kaum. Mit der Stromversorgung habe man ein Problem, hat man schon ganz zu Anfang verkündet und auch gleich kleine Kurbel-Stromaggregate im Publikum verteilt. Wer was sehen will, soll kurbeln... Irgendwann soll während der Premiere von „Obludarium“ am Donnerstag (18.12.) im Volksgarten der Strom tatsächlich ausgefallen sein.

532Jedenfalls erkennt man nicht deutlich, wer oder was im Käfig ist – menschengroß ist das Wesen und offensichtlich gefährlich: Der Tierbändiger öffnet den Käfig mit einen langen Eisenstange und treibt damit das affengeschmeidige pelzige Geschöpf heraus. Ein Weibchen scheint es zu sein. Es schlüpft in ein rotes Flitterkleid, singt in der Pose einer Konzertsängerin mit klagender Altstimme eine betörend schöne Vokalise. Dann springt sie vom Tierbändiger mit der Stange gejagt, in Affenmanier aus der Manege. Verzaubernd und verstörend.

Verzauberung und Verstörung angesichts dieser virtuosen Tierquälereien sind noch gar nichts, im Vergleich zur Verzauberung und Verstörung durch die Nummern gnadenloser Menschenquälerei.

Ein geschwätziger Harlekin und eine lüsterne Alte, Zwerge sind es – in heutiger Diktion wohl „Kleinwüchsige“ - treiben auf einer Puppenbühne ihre Zotten. Der Kopf des Harlekins unter seiner Hörnerkappe gehört einem der Artisten, seine winzigkleinen Beinchen, die er wirft und verknotet und übereinander schlägt, sind irgendwo angenäht.

Anders bei den drei troglodytischen tschechischen Ureinwohnern, dumpfen Wesen, die von  den Schaustellern in abgelegenen und unzugänglichen Gegenden Böhmens aufgestöbert und offensichtlich versklavt worden sind (wie man es mit Mohren und ähnlichen Jahrmarkts-Attraktionen weiland ja auch gemacht hat): Die „Großen tschechischen Köpfe“ – grindige Wasserschädel, dumbe Minen – sind Masken auf den ansonsten unauffällig gewandeten Körpern dreier Artisten. Bemitleidenswerte Wesen, die auch nur nebeneinander in eine Reihe zu setzen dem Schausteller kaum gelingen will. Der Fluchtinstinkt ist erhalten geblieben.

530Die drei Puppenwesen tauchen quasi leitmotivisch immer wieder auf, grapschen etwa nach den Tänzerinnen, wandern irgendwo verloren herum – oder versuchen eine Schallplatte aufzulegen. Rührung will sich beim Zuschauer breit machen: Der Gesang der Tenöre auf der zerkratzen Schellack rührt auch die Primitiven zu Tränen. Ist das die Macht der Hochkultur? Von wegen…

So ist eine Nummer immer noch schräger, erschütternder, komischer und tragischer als die vorangegangene. Eigentlich sind es lauter kleine Szenen, quasi ein Varieté-Abend verbunden durch die Auftritte des diabolischen Zirkusdirektors oder die in vielen Zungen stammelnden und kaum hörbaren Conferencen eines der beiden Forman-Brüder.

Das Wort „obluda“ bedeutet übrigens „Monster“ oder „Ungeheuer“ in slawischen Sprachen. Und „Monster“ kommt ja auch wieder nur vom lateinischen monstrare/zeigen. Die grandiose Produktion „Obludarium“ ist also tatsächlich eine Art Monstrositätenschau.

Kein Wunder, dass die Assistentin des Messerwerfers, nachdem der Künstler daneben geworfen hat, ihren Brustkorb öffnet und ein durchbohrtes Pagen-Püppchen herausholt und auf der Drehscheibe aufbahrt. Der tote Page, der die Zirkusprinzessin so sehr geliebt hat, schaut jedenfalls in echt auf der Drehbühne genau gleich aus, wie das Püppchen auf der Drehscheibe.

531Wurde schon erwähnt, dass es nicht nur wenig Licht, sondern überhaupt keinen Strom zu geben scheint im Obludarium-Zelt? Wie in alten Zeiten werden Schweinwerfer durch kurbeln zum Leuchten gebracht, wird die Drehbühne durch treten in Bewegung gesetzt. Wenn es Pferde oder Artistinnen in die Höhe zu ziehen gilt, geschieht auch das durch Muskelkraft - mittels Seilzugverbindung zu einem Artisten, der eine Stange auf- und abklettert.

Die Forman Brothers erzählen also quasi nebenbei eine ironisch illustrierte Geschichte des Gauklerwesens. Vor allem aber: Petr und Matej Forman, die Zwillingssöhne des großen tschechischen Regisseurs Milos Forman und ihre zwölfköpfige Truppe führen ihr Publikum an der langen Leine zwischen Verzauberung und Verstörung hinab in ziemlich tiefe Abgründe.

Der grausame Tod der Meerjungfrau im poetisch beleuchteten Meer der schwebenden Fische war jedenfalls fast ein wenig zuviel für die Fassung: Auch sie, wie die singende Wilde Frau, ein seltsames Wesen, Opfer der Schausteller und Viehbändiger – oder doch mehr Opfer der Schaulust des Menschen? Zwischendurch kann man schon auch mal schmunzeln, etwa über den muskelstarrenden ledergeschürzten Kraftmenschen alter Schule, die vielen technischen Pannen oder die gestammelte Moderation. Trotzdem kein bequemer Abend.

www.winterfest.at
Bilder: Irena Vodáková

 

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