Das ist eine neue Vorschrift
ARGE KULTUR / EDITTA BRAUN COMPANY
12/12/13 „Als Frau aus dem Mittleren Osten fand ich meine tiefste Traurigkeit in ihrem Stück. Ich habe alles darin selber erlebt. Auch ich fühle mich, als lebte ich in einer Schachtel. Aber im Gegensatz zu ihrem Darsteller fühle mich nicht jung und stark genug, die Schachtel zu zerstören.“ Das schreibt eine Iranerin, die aus politischen Gründen ihr Land verlassen musste und nun in China lebt, über Editta Brauns Stück „derzeit wohnhaft in“.
Von Heidemarie Klabacher
Heitere sonnigbunte Aquarelle vom Leben in idyllischer Armut auf dem Land irgendwo in Lateinamerika: Die braunen Umzugskartons sind eine ideale Leinwand, die Farben wirken darauf noch weicher und wärmer. Muss ein Vergnügen sein, im Licht der Lateinamerikanischen Abendsonne eine Mauer zu bauen. Mit einem Schlag ändert sich das Szenario. In die Trostlosigkeit und Kälte von Salzburgs Vororten im Schneegestöber möchte man keinen Hund hinausjagen. Und doch landet hier Juan Dante Murillo Bobadilla, bekommt so gar ein Zimmer, aber noch lange nicht das Recht auf ein selbst bestimmtes Leben…
So weit Anif von den Vorstädten Pekings oder den Slums Mumbais entfernt ist, soweit entfernt ist Editta Brauns Solostück von jeglichem „Betroffenheitstheater“. Keine Spur von billiger Anbiederung an Menschen, deren Los nur zu leicht als Projektionsfläche für naive Weltverbesserungsphantasien herhalten muss. Die Soloperformance „derzeit wohnhaft in“ feierte am Mittwoch (11.12.) in der ARGE als Koproduktion der Editta Braun Company mit der ARGEkultur ihre Österreichische Erstaufführung.
Der Tänzer und Performer Juan Dante Murillo Bobadilla wurde 1982 in Kolumbien geboren studierte in Bogotá und - ab 2006 - an der Anton Bruckner Universität in Linz, wo er heute selber unterrichtet. Gemeinsam mit Editta Braun und dem Ko-Regisseur Arturas Valudskis entwickelte Juan Dante Murillo Bobadilla - durchaus auch auf der Basis persönlicher Erfahrungen - eine Soloperformance, die von Hoffnung und Zuversicht, von Entwurzelung und Enttäuschung, auch von Zorn, Aufbegehren und Resignation erzählt.
Dass in dieser virtuos erzählten Geschichte auch noch viel Raum für Witz und Ironie ist, bringt genau jene Distanz, die künstlerische Auseinandersetzung ausmacht. Tatsächlich ist Juan Dante Murillo Bobadilla nicht nur ein Tänzer und Performer, der die Bewegungssprache des zeitgenössischen Tanzes beherrscht und mit der beiläufigen Perfektion eines Jugendlichen auf dem vergitterten Spielplatz einsetzt. Er ist auch ein hervorragender Schauspieler und Darsteller, der mit „Sprache“ – ob nun mit Spanisch als Mutter- oder Deutsch als Fremdsprache – virtuos zu spielen weiß.
Tatsächlich sind die meisten Textpassagen aus dem Langenscheidt „Deutsch in 30 Tagen“. Lektion zwei: Eine Unterkunft finden. Lektion drei: Zur Fremdenpolizei fahren. Lektion sechs: Schifahren. Lektion 7 Jobsuche... Da ist vieles tatsächlich urkomisch und von Juan Dante Murillo Bobadilla mit geradezu komödiantischem Charme umgesetzt. Das schenkelklopferische Gelächter einzelner Zuschauer in der ARGE befremdete dennoch nicht wenig.
Die große Szene „Das ist eine neue Vorschrift“ – ein spannungsvoll aufgebautes Crescendo hin zum völligen Durchdrehen angesichts einer unverständlichen Welt - war ein Höhepunkt der gut siebzigminütigen Vorstellung. Ein anderer: Die Darstellung des völligen Verlustes der Sprachfähigkeit angesichts der kafkaesken Machtspiele einer un(an)greifbaren Obrigkeit. Nicht nur die mühsam erworbenen Deutschkenntnisse, auch Ausdrucksfähigkeit und damit die Menschenwürde gehen verloren, wenn aus dem Individuum eine obskure Nummer wird.
Ein hervorragende künstlerische Auseinandersetzung mit einem aktuellen Thema, ein politisches Statement, ein bewegender Abend.