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Jonny schlägt das Weltenrad

LANDESTHEATER / JONNY SPIELT AUF

09/12/13 „Jonny spielt auf“ heißt es - zum ersten Mal seit der Salzburger Erstaufführung im Jahr 1968 - im Salzburger Landestheater. Opernchef Andreas Gergen inszenierte die Oper von Ernst Krenek im Bühnenbild von Court Watson. Es spielt das Mozarteumorchester Salzburg unter der Leitung von Adrian Kelly. Eine turbulente Sache - stringent erzählt, brillant musiziert.

Von Heidemarie Klabacher

500An der Liftstation kommt ein eigenwillig trauriges Lied aus dem Lautsprecher. Die Touristen kennen die berühmte Sängerin, sie logiert im selben Hotel. „Schade, dass sie so gerne moderne Musik singt“, singt der Schifahrer-Chor – und fängt erleichtert an zu tanzen, als swingend die Hotelband wieder einsetzt. Der kraftvolle Ton des Jazzband-Geigers Jonny lässt wiederum den ebenfalls winter-urlaubenden Violinvirtuosen Daniello die Ohren spitzen: Das klingt verdammt nach seiner gestohlenen Amati.

Es ist eine schwungvolle temporeiche Aufführung mit Sessellift, Skywalk über dem Gletscher und dampfender Eisenbahn, deren Protagonisten auch indoor immer in Bewegung bleiben. Dafür sorgt allein schon die wie eine Vinyl-Schallplatte sich unaufhörlich drehende, wenn auch keineswegs auf 33 und schon gar nicht auf die damals, in den Zwanziger Jahren, auf 78 Umdrehungen beschleunigte Drehbühne.

504Es gibt selbst dem romantischen Abendessen von Anita und Daniello eine gewisse Dynamik, wenn zwei Oberkellner in Uniform das Podest mit dem Dinner-Tisch an Ort und Stelle halten – und im Hintergrund romantische Laternen oder auch der schwarze Jazz-Geiger und Musik-Allrounder Jonny samt Mikrophon vorüberziehen wie Erinnerungen.

Zur Ausstattung von Regina Schill im Stil der Zwanziger- und Dreißigerjahre passt hervorragend an der Bühnenrückwand Court Watsons Collage aus Original-Plakaten, die mit der Mode der Zeit spielen, aber auch mit dem Stereotyp des nur wenige Jahre später von den Nazis zur Karikatur degradierten „Schwarzen“. Das Mozarteumorchester spielt wie ein Salonorchester auf der Bühne direkt vor dieser sprechenden Wand.

501Den Jonny singt und tanzt Nathan De’Shon Myers. Die Titelfigur in Ernst Kreneks Oper ist eine Art Puck, der mit seinen Einfällen die Geschichte voran- und die Figuren vor sich her treibt. So klaut er etwa die Geige des Virtuosen und begrapscht vor dessen Augen die berühmte Sängerin. Vor allem aber obliegt es Jonny, der europäischen Musik einen amerikanisch polierten Spiegel vorzuhalten: „Die Stunde schlägt der alten Zeit…“ heißt es schon im sechsten Bild und triumphierend nochmals im Finale. Wobei „Amerika“ aber für Krenek 1927 mehr ein Utopia, denn ein reales Land gewesen sein dürfte.

Dass Jonny am Schluss auf einer rotierenden Weltkarte (in Form eines Grammophon-Trichters) tanzt und geigt, hat im Landestheater Regisseur Andreas Gergen ganz nach Kreneks Regieanweisungen realisiert und damit diesen utopischen Moment zugleich betont. Jonnys Alabama mit dem Swanee-River – bewegend hat Nathan De’Shon Myers seine große Nummer gesungen – mögen einem ins Alte Europa versprengten, bestenfalls als Nummernclown  für die Reichen geduldeten schwarzen Künstler 1927 als reale Sehnsuchtsorte gedient haben.

502Wir wissen 86 Jahre später, dass dann Atombombe, McCarthy, Vietnam und Guantanamo gekommen sind. Und ist nicht erst jüngst der Versuch aufgeflogen, die ganze Welt zu bespitzeln? Als Sehnsuchtsland haben die USA längst ausgedient. Da muss ein Jonny-Regisseur bei der Märchenrevue bleiben, dann freilich ist das unendliche Amerika genauso gut ein Land, wo die Zitronen blüh’n und die Himmel voller (geklauter?) Geigen hängen, wie jedes andere Orplid auch.

Mit ein paar an den Wahlkampf Präsident Obamas anspielenden Spruchtafeln – Yes Jonny can - bringt die Produktion am Landestheater im grand finale für Augenblicke geschickt die Gegenwart ins Spiel. Auf dem Bahnhof wird im Abschiedsrummel plötzlich Yvonne, die weiße Freundin des schwarzen Jonny, niedergeknüppelt und bekommt eine Tafel „Entartete Musik“ umgehängt. Wir wissen, welche Stunde die große Bahnhofsuhr bald schlagen wird... Das alles passiert ganz en passant im Trubel der Aufbruchsstimmung, denn alle reisen sie ab, nach Amerika: die große Sängerin mit Gefolge, der kleine Jonny mit geklauter Meistergeige…

507Bereits wenige Jahre nach der Uraufführung in Leipzig und einem echten „Hype“ mit Aufführungen in Paris, Wien und New York ist es extrem still geworden um Jonny. „Jazz-Oper“ ist „Jonny spielt auf“ natürlich keine. Ernst Krenek (1900 bis 1991) selber spricht in seinen Erinnerungen von Anklängen an amerikanische Unterhaltungsmusik, an Cole Porter oder George Gershwin in zwei drei Nummern.

Temporeich und rhythmisch mitreißend pointiert wird es unter der Begleitung des Mozarteumorchesters unter Adrian Kelly, wenn Nathan De’Shon Myers als Jonny mit dem Stubenmädchen Yvonne zu zanken und zu kosen beginnt: Mit dem neckischen Selbstbewusstsein einer Mozart’schen Susanna setzt Laura Nicorescu auf virtuos phrasierten Linien funkelnde Sopran-Glanzlichter.

503Genauso viel erinnert aber auch an Puccini oder Schreker. Die romantisch-expressionistischen „Opera seria“-Passagen im „Jonny“ gehören dem melancholischen Komponisten Max und der Starsopranistin Anita. Den in seiner Weltangst erstarrten Komponisten singt Franz Supper mit traurigem Dackelblick und strahlkräftigem Tenor. Eine große Reverenz vor Franz Supper, der die Partie sängerisch-technisch souverän und darstellerisch mit vielen kleinen ironischen Gesten gestaltet. Den weltverlorenen Träumer hat Anita – im Wortsinn - vom Gletscher losgeeist und ins Hotelzimmer abgeschleppt.

Christiane Boesiger brilliert in den anspruchsvollen großen postromantischen Arien dieser Partie, überzeugt darstellerisch als Diva der alten Schule und sängerisch mit weit gespannten Melodiebögen. Ebenfalls souverän: Simon Schnorr als selbstverliebter Violinvirtuose Daniello, dem der Regisseur die Attitüde eines Don Giovanni gegeben hat. Schon hart, dass der schöne Mann einfach unter den Zug kommt.

506Orchester und Ensemble packen die ständigen stilistischen Wechselduschen zwischen „E“ und „U“ virtuos. Die Übergänge zwischen Charleston und großer Arie gelingen dem Dirigenten genauso locker auf einen Atem, wie dem Regisseur die vielen Terrainwechsel zwischen Gletscherpfad und Tanzparkett oder, auf seelischem Gebiet, zwischen der tragischen Gefühlstiefe eines Max und der heiteren Flatterhaftigkeit einer Yvonne. Lobend zu erwähnen sind Chor, Extrachor, Ballett und Statisterie des Landestheaters, die präzise und punktgenau ihre Beiträge liefern und das Getümmel erst zu einem solchen machen. Eine rundum gelungene Produktion, eine weltenrunde Sache.

Jonny spielt auf – Aufführungen bis 14. Jänner 2014 – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Christina Canaval

 

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