Kopf-Füßer
TANZ_HOUSE / PLANET LUVOS
22/10/12 Was sich da geschmeidig wie die Tentakel einer Seeanemone im Blaudunkel bewegt, sind die Beine von sechs Tänzerinnen der Editta Braun Company. Der Mensch war ja doch als Wasser- und nicht als Landlebewesen gedacht! Zumindest bewegt er sich als vielgliedrige Mutation unter Wasser viel anmutiger, denn als Putztrupp auf dem Ozeandampfer.
Von Heidemarie Klabacher
Es dauert ziemlich lange, bis das Schiff endlich unter- und das mühevolle Deckschrubben zu Ende geht. Dann aber werden aus den Blaumännern – pardon: Graufrauen – geheimnisvolle Wesen, denen nichts Menschliches mehr eignet.
Ein seltsam ungefügiger Wurm, aus dicken Gliedern lose zusammengesetzt, schiebt sich zunächst in den Bühnehintergrund. Tänzerinnen-Rückseiten ohne Kopf und Gliedmaßen sind das. Aber die Evolution bringt noch viel geheimnisvollere Wesen hervor: Spinnentiere, auf dem schwerelosen Sprung durch eine dunkelblaue Unterwasserwelt. Skelettlose Anemonen, deren zahllose Glieder sich geschmeidiger bewegen, wie die Tentakel der zartesten Seedahlien oder der durchsichtigsten Karibischen Goldrosen.
Die tänzerisch-technisch grandiosen Verwicklungen von Körpern, Armen und Beinen lassen nicht nur über die Beweglichkeit der Performerinnen und die Erfindungs- und Vorstellungskraft der Choreografin Editta Braun staunen. Diese urtümlichen Geschöpfe besitzen auch noch die Frechheit, sich über höhere Lebewesen lustig und deren Verhaltensweisen nachzumachen: Manchmal sind diese Glieder in heftigste Diskussionen verstrickt, statt mit den Armen und Händen wird mit den in die Luft gestreckten und ineinander verwickelten Beinen und Füßen gestikuliert.
Eine andere Ausgangs-Stellung zu beschreiben ist gar nicht so leicht: Im Yoga nennt man es jedenfalls die Pflugstellung, wenn der/die Yogi auf dem Rücken liegend die Beine hinter sich auf den Boden klappt. Wenn dann Arme und Hände nach vorne kommen, wild herumfuchteln und an den Pobacken salutieren, ist das natürlich nicht mehr Yoga, sondern schlicht und einfach urkomisch. Diese seltsamen Geschöpfe gehen auf ironische Distanz zu sich selber. Brillant! Wenn das doch auch der Gattung Mensch im Allgemeinen und der Untergattung Zeitgenössischer Choreograf im Besonderen öfter eignete!
Freilich will die Editta Braun Company vermitteln, dass der Mensch nicht das einzige Geschöpf unter der Sonne ist, insofern hat die Performance „Planet Luvos“ schon auch eine Botschaft. Aber diese Geschichte wird mit ganz und gar tänzerischen Mitteln erzählt.
Wesentlich zur spannungsvollen Atmosphäre trägt der Soundtrack von Thierry Zaboitzeff bei. „Planet Luvos“ ist also nicht nur ein Augen- sondern auch ein Ohrenvergnügen.