Poesie siegt über Pädagogik - knapp
LANDESTHEATER / MARIONETTENTHEATER / RING
01/04/12 36 Stunden nach der Premiere sind die Bilder schon seltsam verblasst… Doch! Da war dieser grandiose Shrek! Als grüngraues Schwabbelmonster bewacht der Riese Fafner den Schatz und den Ring. Jung Siegfried stürzt sich mit Genuss in die buddha-förmigen Fettmassen. Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ an einem Abend mit Menschen und Marionetten.
Von Heidemarie Klabacher
Überhaupt die Riesen! Keine noch so teure Wagner-Produktion in keinem noch so großen Opernhaus der Welt wird je solche Riesen zusammen bringen. Geld braucht es dafür nicht – bloß zwei ganz normal große Schauspieler, die in Gummistiefel und Blaumann über eine Puppenbühne stapfen.
In solchen Augeblicken greift in der Ring-„Gesamtproduktion“ des Landestheaters und des Marionettentheaters der Zauber des Puppenspiels. Zwei Menschen – die Schauspieler Christiani Wetter und Tim Oberließen als Darsteller und Kommentatoren auf und vor der Bühne – spielen mit den Marionetten. Wagners Musik kommt vom Band.
Noch so ein magischer Moment: Brünnhildes Pferd Grane fegt Hunding von der Bühne, mit elegantem Schwung wie im Fluge, mit einer Energie, wie sie nur ein seidenmähniges Holzpferdchen an Fäden aufzubieten vermag. Ein kleiner Schubs gegen die Schulter – und Schauspieler Tim Oberließen, in diesem Augenblick der Darsteller des Hunding - fliegt im Kampf mit der Marionette Sigmund nur so von der Bühne.
Ein spannendes Spiel mit dem Spiel von Marionette und Mensch: Am Schluss wird Siegfried in Gestalt Gunthers die Walküre Brunhilde besiegen. Hier wird plötzlich der Menschendarsteller an Fäden geführt: Marionette der Intrige ebenso, wie des eigenen Begehrens und Unvermögens. Wirklich lustig ist es dagegen, wenn die Marionette Siegfried, nach dem Genuss von Zaubertrank in Lieb entbrannt, sich auf die Schauspielerin stürzt - auf Christiani Wetter, in diesem Augenblick die Darstellerin der Gutrune.
So also tauchen doch immer mehr Szenen aus der Erinnerung auf, die voll Spannung und Poesie waren. Der Eindruck nach „Rheingold“ und „Die Walküre“ war nämlich, in einem liebenswürdig bemühten Schulfunkprojekt statt im Theater gelandet zu sein. Dieser wurde mit „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ deutlich abgemildert. Was anfangs wirkte wie eine brav bebilderte Inhaltsangabe, bekam im zweiten Teil Sog und Spannung. Poesie besiegte schließlich doch die Pädagogik.
Schulfunk muss ja auch nichts Schlechtes sein. Die komplexe Geschichte wird immerhin brillant aufgedröselt. Alle Verstrickungen zwischen Menschen und Göttern – wer wann mit wem und welchen Folgen – bekommt man klar und übersichtlich erzählt. Regisseur Carl Philip von Maldeghem hat die szenische Fassung erstellt und ist dem „Ring“ inhaltlich nichts schuldig geblieben. Philippe Brunner hat die musikalische Fassung erstellt, also die passenden Schnipsel aus Wagners „Ring“ ausgesucht und vor allem miteinander verbunden. Eine herkuleische Aufgabe überzeugend gelöst, vor allem, wenn man an die fließende Harmonik Wagners denkt.
Die Musik kommt im Marionettentheater generell aus der Konserve, also auch der „Ring“: Entschieden hat man sich für eine uralte Decca-Aufnahme, entstanden in den Jahren 1958 bis 1964. Sir Georg Solti dirigiert die Wiener Philharmoniker – und an Sängern alles, was damals Rang und Namen hatte.
Die Boxen im Marionettentheater scheinen nicht die modernsten zu sein. Vielleicht reicht die Tonanlage ja für Mozart, für Wagner jedenfalls nicht: Dumpfe undifferenzierte Klänge legen sich über den Zuhörer. Die Stimmen dringen kaum durch das Rauschen, die Orchesterfarben bleiben glanzlos... Die mangelnde Tonqualität ist tatsächlich das größte Manko des Projektes.
Besser als dem Ohr ergeht es dem Auge: Der Puppenkopfschnitzer, der Bildhauer Reinhard Feldinger, und die Puppenbauer Vladimir Fediakov, Emanuel Paulus und Pavel Tikhonov haben nach Entwürfen von Christian Floeren ein wunderbares Ring-Personal geschaffen: Siegfried, ein cooler Halbstarker von Heute mit Jogginghose, Brünnhilde eine Wagner-Heroine, wie es sich gehört. Die Chef-Götter: wie aus einer modernen Regie-Theaterarbeit in Smoking und Abendkleid! Wotan und Fricka reisen im Chevrolet durch die Szene.