Violetta und Alfredo einsam vor dem Laptop
LANDESTHEATER / HAUS FÜR MOZART / LA TRAVIATA
12/03/12 Eindringlich-heutiger kann ein Bild für Vereinsamung nicht sein. Violetta ist eine Nutte, die sich per Live-Stream in die Herren-Schlafzimmer beamt. Ist es da nicht nur zu logisch, dass sie auch ihre letzten Stunden vor dem Laptop, im Chat verbringt?
Von Reinhard Kriechbaum
Violetta darf ihr Leben nicht in Alfredos Armen aushauchen. Regisseur Andreas Gergen versagt den Liebenden die letzte Begegnung. Nur per Laptop kommunizieren die beiden und Alfredo sieht on screen, was er und sein Vater angerichtet haben. Violetta stirbt nämlich nicht an Schwindsucht, sondern an einer Fehlgeburt. Im entscheidenden Moment hat sie wohl das Verhütungsmittel weggelassen, wahrscheinlich damals, als sie und Alfredo schöne Stunden gemeinsam verbrachten. Nein, nicht auf einem Landgut. Mit dem Wohnmobil haben sie sich davongemacht. Wenig luxuriös, aber stimmungsvoll (mit Lagerfeuer) war der versuchte Start ins neue, „cleane“, landbürgerliche Leben. Das hat Père Germont mit einem fiesen Trick vermasselt, indem er etwas vorfaselte von seiner Tochter, die auch vorgeführt wurde, um bei Violetta Eindruck zu schinden. Wir haben es aber da schon ahnen dürfen: Die junge Dame ist keineswegs Alfredos Schwester, die Landpomeranze dürfte Ehe-Wunschkandidatin von Alfredos Familie sein.
„La Traviata“ also neu und heutig gedacht, und erstaunlich schlüssig nacherzählt im Haus für Mozart. Violetta ist hergerichtet wie Marilyn Monroe. Sie hat eben eine Abtreibung hinter sich. Jetzt posiert sie wieder vor der Kamera, und in den zwanzig übereinandergeschachtelten Herren-Zimmern im Bühnenhintergrund gibt es nicht nur PC oder Laptop, sondern jeweils auch einen wasserstoffblonden Violetta-Klon: Perücke und Stimme gewordene Männer-Wunschbilder. So ist die Sache mit dem Chor praktisch gelöst. Alfredo bricht aus der virtuellen Existenz der Scheinliebe aus und stellt sich mit einem Geschenkpackerl ein: eine Babypuppe als Seelenöffner für Violetta. Am Ende wird ihr vor der bild-geilen Journalistenmeute eine ähnliche Puppe als blutüberströmten Fötus in die Hand gedrückt.
Das ist, in starke Bilder gesetzt, eine moderne Hurengeschichte um einen misslungenen Ausstieg aus dem Rotlichtmilieu. Das Wichtigste: Die Musik kommt dabei nicht zu kurz. Für die drei Hauptpartien hat man Gäste verpflichtet. Die Italienerin Gladys Rossi hat am Premierenabend anfängliche Intonationsprobleme bald hinter sich gelassen und sich eingefunden in die heikle Akustik. Wenn es um das Zerbrechliche, das Gebrochene der Figur geht, hat sie ihre überzeugendsten Momente.
Luciano Ganci als Alfredo lässt sein gerundetes Organ geradezu überströmen – kein nachhaltiger Gestalter, aber eine beeindruckende, wohl timbrierte Stimme. Metallisch klingt der Bariton von Michele Calmandi (Père Germont), auch er hat im Lauf des Abends auf Zimmerlautstärke umgestellt, was im Haus für Mozart bekanntlich reicht. Gute Figur machen die Stichwortbringer aus den Reihen des Landestheaters, von Emily Righter und Karolina Plicková (Flora und Annina) über Franz Supper (Gastone), Simon Schnorr (Baron Douphol) bis Einar Gudmundsson (Marchese D’Obigny). Für den erkrankten Marcell Bakonyi ist am Premierenabend Johannes Wiedeke als Dottor Grenvil eingesprungen.
Leo Hussain sorgt am Pult des Mozarteumorchesters für eine agogisch lebhafte, elastische Begleitung, aus der nicht nur die vokale Kantilene, sondern auch jene der Solobläser erblühen kann. Im Kontakt zum Bühnengeschehen hat die Aufführung kammermusikalische Qualitäten, und auch der Chor (einstudiert von Stefan Müller) macht beste Figur.
Das Fest bei Flora ist in Andreas Gergens szenischer Lesart ein medial inszeniertes Schicki-Micki-Fest, es wimmelt vor Fotografen und Kameraleuten, die die Auseinandersetzung zwischen Violetta und Alfredo im O-Ton mitschneiden. Da hat Peter Breuer auch eine hübsche Balletteinlage entworfen, bei der sich starke Männer mit Tierköpfen über eine Tänzerin im Violetta/Marylin-Outfit hermachen. - Das Premierenpublikum hat sich bestens anfreunden können mit der heutigen Inszenierung: allgemeiner Jubel und ein einsamer Buhrufer.