Des Verstandes-Wahnsinns knusprige Beute
LANDESTHEATER / IMENEO
06/02/12 Hollywood-Scriptschreiber denken sich solche Geschichten nicht aus, mit gutem Grund. Deshalb ist auch die Händel-Opernrenaissance der letzten Jahrzehnte an „Imeneo“, einem seiner letzten bühnendramatischen Werke, ziemlich gründlich vorbeigegangen.
Von Reinhard Kriechbaum
Georg Friedrich Händel selbst mag dem Libretto misstraut haben, dessen einzige dramatische Szene – zwei junge Damen werden von Piraten gekidnappt – im Vorfeld der Oper passiert. Die setzt ein, nachdem Imeneo die beiden Mädchen befreit hat und nun die eine als Dank zur Frau begehrt. Deren Herz hängt aber an einem anderen. Drei Akte lang wird das Hin- und Hergerissen-Sein aller Protagonisten aufs Ausführlichste besprochen, zwischen Zuneigung und G’hört-Sich. Am Ende entscheidet sich die geprüfte Rosmene gegen das Herz für die Pflicht: 1740, da lässt die Aufklärung schon die Peitschen knallen, die Sinnesfreude des Barock hat schlechte Karten. „Wahnsinn“, mag der Barockmensch Händel sich gedacht haben – und er hat seiner Hauptprotagonistin eine Wahnsinns-Szene geschrieben, die sich gewaschen hat.
Musikalisch ist alles Händel vom Besten. Der Meister mag damals schon den „Messias“ im Hinterkopf gehabt haben. Es klingen im ersten Chor Halleluja-Vorausklänge an und eine Bass-Arie, in der von Schatten und Seelenfeuer die Rede ist, wirkt wie eine Vorstudie zur Arie „Das Volk, das da wandelt im Dunkeln“.
Sehr ambitioniert, was das Mozarteumorchester unter der Leitung von Mathew Halls, aber auch was die Sängerinnen und Sänger leisten. Zwei Gäste: Kirsten Blaise wird des Wahnsinns knusprige Beute, als Händel-Spezialistin arbeitet sie sich mit allergrößter Selbstverständlichkeit technisch souverän durch die unterschiedlichsten Emotionen. Die kanadische Mezzosopranistin Frances Pappas in der Hosenrolle des Tirinto glüht zurückhaltender – und das passt gut zur Rolle des Geliebten, dessen Chancen immer mehr schwinden: Er ist mehr Trantüte als Liebes-Aktivist. Simon Schnorr als Imeneo, kernig in der Stimme, wirkt optisch ein wenig schmalbrüstig für die Rolle eines selbstbewussten Piraten-Besiegers, der nun seinen Gender-Preis einfordert. Aber er ist stilistisch bestens eingeschworen auf die Partie, so wie auch Marcell Bakonyi, der als Vater der beiden jungen Damen für die Vernunft plädiert. Regisseurin Nina Kühner hat sich für ihn eine stumme Nebenhandlung ausgedacht, er fingert beständig an seinen Töchtern herum und wird in der Schlussszene im Hintergrund von der jüngeren Tochter (die ihrerseits Imeneo liebte) erstochen. Emily Righter, neu im Ensemble, ist eine besonders positive Überraschung, denn sie löst die sängerischen und gestalterischen Erfordernisse ihrer Partie mit größter Selbstverständlichkeit und starker Persönlichkeit ein.
Was szenisch anfangen mit diesem handlungsarmen Werk, in dem sich ein Lamento ums andere, der eine oder andere Verzweiflungsausbruch und reflektierende Arien aneinander ketten? Regisseurin Nina Kühner, Bühnenbildnerin Hanna Zimmermann und Claudia Caséra (Kostüme) stellen die Nicht-Handlung in eine Felsenbucht. Vielleicht gehört er zu einem Club Med oder gar einer Robinson-Erlebniswelt. Vielleicht ist der weißgewandete Chor mit knallroten Handschuhen und phantasievollem Blumenschmuck auf dem Kopf gar verkleidete Animateure? Wer weiß.
Jedenfalls ist dieser Krauthäuptel-Chor - musikalisch beweglich und firm - allgegenwärtig und gibt alle möglichen szenischen Kommentare. Wer sich aufregt, ist von der Regisseurin angehalten, mit Sesseln um sich zu werfen. Gebunden sein - das ist leicht anschaulich gemacht, weil an einem Strand in Arkadien gemeinhin viele Taue herumliegen. Da ist das Auge jedenfalls gut beschäftigt, und wer sich gar Hinter- oder Tiefgründiges dazu denken möchte, kann das gerne tun. Einer emanzipiert sich aus der Chor-Gruppe, es ist der zum vegetabilen Herz-Kopf gewordene Amor. Einen Bogen hat der arme Kerl, aber keine Pfeile, und so muss er machtlos dem Sieg der Vernunft zusehen. Leid muss er einem tun.