Spinn, spinn Spinnerin
SALZBURGER ADVENTSINGEN
02/12/11 Auch so ein Lied, das der (überholten) Volkslied-Definition zuwiderläuft, dass Kennzeichen eines solchen eben sei, den Urheber nicht zu kennen. In Fall von „Spinn, spinn Spinnerin“ war Tobi Reiser Text- und Notenverfasser. Ein Volkslied ist’s trotzdem geworden. Die Strophen bilden ein Leitmotiv im diesjährigen Adventsingen im Großen Festspielhaus.
Von Reinhard Kriechbaum
Heuer haben die neuen Harmonien deutlich Überhand beim Salzburger Adventsingen, und auch viele Liedsätze tragen „Kunstlied“-Gewänder. Das verhilft zu großer Einheitlichkeit. Die kraftvollen „Zwischenmusiken“ von Klemens Vereno schaffen deutliche Zäsuren in einer Geschichte, die ein wenig zusammengepuzzelt wirkt.
Es geht Jahr für Jahr darum, etwas Heutiges aus dem bald zweitausend Jahre alten Plot herauszuschälen: Die Suche drängt sich auf, sei es nach Herberge oder nach Licht. „Der Stern“ heißt das Adventsingen heuer, und wir haben es unter anderem mit einer jungen Frau mit unerfreulicher Diagnose zu tun. Viel Lebenszeit bleibt ihr nicht mehr, ihren „Stern“, also ihren Weg zu finden. Ein halbes Jahr vielleicht. Der Einsiedler ist ein guter Zuhörer und einer, der sanft, aber hartnäckig auf die biblische Geschichte verweist. Maria und Josef müssen sich auch erst jeweils dreinfinden in ihre Rollen eines künftigen Leih-Kindes.
Das ist alles schön aus dem Bilder- und Vokabelschatz der Laientheologen-Katechese heraus geschöpft. Es wirkt aber, weil Regisseurin Veronika Pernthaner ihr Handwerk versteht, gar nicht so furchtbar platt und gestelzt, wie es auf dem Papier steht. Im Gegenteil: Der nüchterne Tonfall, der kontrollierte Umgang mit den Emotionen hat sein Gutes. Es wird auch kein Darsteller zum Dialekt gezwungen.
Wenn schon der Stern das Thema ist, dann sind die Drei Könige gefragt, die, soviel ich mich erinnere, noch nie dabei waren beim Adventsingen. Auf einschlägiges Liedgut hat man verzichtet, die drei Herren – der Europäer steckt in einer Art Biedermeier-Gewand – führen sich philosophierend ein und werden dann doch erwartungsgemäß von der Wasserkrug-Trägerin an Hellsichtigkeit ausgestrickst. Natürlich haben die Hirtenkinder ihren obligaten Auftritt mit Hirtenruf, Waldhansl und Schleuniger.
Was die Volksmusik angeht, ist eine Veränderung im Tonfall nicht zu übersehen. Man löst sich vom Tobi Reiser-Ideal (einst geprägt etwa von den Riederinger Sängern), eine junge, ja: blutjunge Generation, hoch kompetent auf den Instrumenten, ist jetzt eher noch auf der Suche nach dem eigenen Stil. Das gilt für Reinhold Schmids Salzburger Saitenmusikensemble ebenso wie für die Salzburger Geigenmusik oder das Blattbläserensemble. Aber auch für den Flachgauer Dreiklang. Ein wenig mehr Mut zur Individualität, vielleicht auch nur ein Quäntchen mehr Selbstvertrauen täte man ihnen allen wünschen.
Die starken Akzente heuer kommen unzweifelhaft aus den Kompositionen von Klemens Vereno, mit denen der Salzburger Volksliedchor gut fertig wird. Herbert Böck hält als Dirigent alle Komponenten bestens und wohl tariert zusammen. Wilhelm Kellers „Ave Maria“, Peter Wesenauers „Magnifikat“ gehören zu den lieb gewonnenen Schätzen. Auch wenn’s textlich passt: eine verdächtig nahe in Taizé-Untiefen driftende Komposition wie das „Von guten Mächten“ (Siegfried Fietz/Werner Raidinger) gehört absolut nicht hierher. Das Adventsingen lebt eigentlich vom Kitsch-Vermeiden.
Die große Vision zaubert man heuer eigentlich nicht herbei, auch wenn auf allen Linien die vertraute und an diesem Ort auch notwendige Perfektion herrscht. Aber doch stimmiges, stimmungsvolles Advent-Business as usual.