Edelweiß … sei der Heimat ein Segen
LANDESTHEATER / SOUND OF MUSIC
24/10/11 „Sound of Music“ in Salzburg, stimmiger geht es nun wirklich nicht. Es ist ungefähr wie Pizza essen in Neapel. Oder gekillt werden in der Bronx. Hoch gepokert hat Intendant Carl Philip von Maldeghem, indem er dieses "vorbelastete" Musical ins Programm genommen hat. Mit dieser Aufführung hält er dafür jetzt den Royal Flash in der Hand.
Von Reinhard Kriechbaum
„Layee odl lay dee oo“ – Das Schmunzeln kann man sich schwer verkneifen, wenn man die englische Übertitelung der deutsch gesungenen Aufführung verfolgt. Aber man kommt auch ernsthaft ins Nachdenken über die Grenzen von Übersetzungen. Gerade deshalb lohnen zumindest Seitenblicke auf die originalen Dialog- und Songtexte. Trotz der von Kitsch weitgehend entschlackten Fassung (Übersetzung: Heiko Wohlgemuthm Kevon Schroeder) kommt eben auf Englisch manches direkter, wird die Verankerung der Handlung in der Zeit des Anschlusses deutlicher, die Bedrohung der Protagonisten greifbarer. Vielleicht ist tatsächlich die chronische „Sound of Music“-Verweigerung in deutsch sprechenden Landen auch auf sprachliche Marginalisierung zurück zu führen.
Am Sonntag (23.10.) bei der sagenhaft umjubelten Premiere im Salzburger Landestheater jedenfalls: Gerechtigkeit für den hierorts so ungeliebten Musical-Klassiker. Es braucht keine prophetische Gabe, um zu sagen: Salzburg hat da ein (auch musical-touristisch) blendend vermarktbares Atout.
Das Wort „unprätentiös“ müsste jeden Satz einer Besprechung einleiten. Das beginnt beim Bühnenbild (Court Watson), das uns Salzburg in Scherenschnitt-Technik zeigt, die Gartenfront der Trapp-Villa als ganz schlichte Papp-Wand und das Treppenhaus in Bauhaus-nahem Design. Ein schlichter Zwischenvorhang, und schon sind wir in der Büro-Zelle der Nonnberger Äbtissin. Mit Miniatur-Versatzstücken und fabelhaft dezenter Beleuchtung gelingt es, blitzschnelle Szenenwechsel zu arrangieren, unmittelbar in die Stimmung der jeweiligen Szene hinein zu führen. Der New Yorker Bühnenbildner ist Broadway-geeicht, das merkt man Bild um Bild.
Andreas Gergen und Christian Stuppeck erzählen die Geschichte, ohne auf die Tränendrüsen zu drücken. Und vor allem, ohne verkrampft zeitgeschichtliche Bilder zu strapazieren. Aber eben auch, ohne ganz darauf zu verzichten. Die Nonnen entschwinden mit ihrem Alleluja und Gaudeamus Domino in den Hintergrund, während vorne Juden die Straße schrubben müssen (und gleich wieder weiter getrieben werden): ein Spotlight auf die Zeitstimmung, nötige Korrektur nach der Hochzeits-Szene. Zwei Mal taucht der Führer als Riesenprojektion auf, auch das ist sehr genau positioniert, jeweils die Stimmung korrigierend.
Freilich, wir haben es mit einer saftigen Liebesgeschichte zu tun, mit durch und durch klischeehaften Figuren. Aber auch da steuern die Regie und die Darsteller selbst deutlich entgegen: Wietske van Tongeren ist die wirbel-windige Postulantin, die nun wirklich nicht ins Kloster passt, auch nicht zu Musical-beschwingten Nonnsense-Klosterfrauen, von denen eine beim Gang zum Stundengebet einen Schluck aus dem Flachmann nimmt. Kein Wunder, dass der zum Appell pfeifende Baron von Trapp (Uwe Kröger) hin und weg ist von der neuen Gouvernante und sogleich das Singen wieder lernt. Wie es eben so schön im Text heißt: „Lieder sind da, sie zu singen“. Und "Sound of Music", um es aufzuführen - hier und jetzt!
Präzise wurde mit den Musical-geeichten Fachleuten gearbeitet, und sie bringen präzise Psychogramme, einnehmende Charaktere. An der Schnittstelle zwischen der Kinder- und der Erwachsenenwelt: Hanna Kastner als älteste Tochter Liesl. Auch sie ist eine, die im Genre daheim ist und ganz erstaunlich wendig agiert, einmal ganz Kind, dann ganz junge Dame. „Sechzehn, beinah schon siebzehn“ eben. Es ist eigentlich die heikelste Rolle im Stück, und sie ist optimal besetzt.
Die Kinderschar! Erstaunlich, wie natürlich sie sich alle bewegen. Die Choreographien (Kim Duddy) sehen wie spontan erfunden und nicht wie einstudiert aus, und die Dialoge hören sich ebenfalls lebefrisch und nicht „eingelernt“ an. Die Herzen der Premierengäste sind ihnen zugeflogen.
„The Sound of Music“ ist mehr als eine Repertoireaufführung: Mit dieser Produktion begibt man sich ganz bewusst auch auf den internationalen Musical-Markt. Deshalb die englische Übertitelung, deshalb Kooperationen mit Salzburg-Tourismus. Außer dem Programmheft gibt es ein als Souvenir taugliches „Picturebook“.
Dass ein solches Projekt auch im Theater Professionalität voraussetzt, versteht sich. Die Aufführung liegt weit über dem Normalpegel einer Länderbühne. Entsprechendes Format tönt also auch aus dem Orchestergraben, wo Peter Ewaldt für besten Kontakt zur Bühne sorgt und das Mozarteumorchester seinerseits für einen Sound jenseits allen Kitsches. Das Bläser-Samt in manchen Musiknummern lässt aufhorchen. Auch da: deutlich mehr Investment als für eine „normale“ Premiere.
Wird man nun auch Salzburger die Gassenhauer aus „The Sound of Music“ pfeifen hören? Bei der Premiere gab es als Überraschung am Ende ein Publikums-Singen, Musical-Karaoke sozusagen, mit dem englischen Text. Die Sangesfreude hielt sich in Grenzen, man darf die Musikalität des Premierenpublikums nicht überschätzen. Bei „Do-re-mi“ blieb das Bühnenpersonal weitgehend unter sich, bei „Edelweiß“ tauten die Stimmen auf.
A propos „Edelweiß“: „… sei der Heimat ein Segen“ heißt es da, und Baron von Trapp à la Uwe Kröger singt diese Passage an die Adresse der in der Proszeniumsloge lauernden Nazi-Bonzen. Wie er die Stimme da brechen lässt – das ist sängerisches Gestalten, das einer durchaus problematischen Passage jeden falschen Ton, jede oberflächliche Rührseligkeit nimmt.