Noch ist Polen nicht verloren
SCHLOTE-ZYKLUS / DER BETTELSTUDENT
11/01/11 Die klassische Wiener Operette führt in Salzburg derzeit leider ein Schattendasein. Im Schlote-Zyklus gibt es sie erfreulicher Weise weiterhin und sie wird jetzt vom sozusagen hauseigenen „Salzburger Operettentheater“ produziert.
Von Gottfried Franz Kasparek
Allerdings verfügt das engagierte Ensemble hierzulande nicht über ein geeignetes Haus. Karl Millöckers „Bettelstudent“, eigentlich eine feine „Volksoper“, verpufft im Großen Festspielhaus allzu sehr.
Lucia Meschwitz ist eine routinierte Regisseurin alter Schule und stellt das Stück großteils original auf die Bühne, die man sich etwa im Welser Stadttheater denken muss. Dass in der Hosenrolle des Cornets Richthoffen nun tatsächlich eine Frau steckt, nämlich die verkleidete und eifrig als Doppelagentin agierende Schwester des polnischen Freiheitshelden Jan Janicki, ist dramaturgisch nicht ganz schlüssig. Der echte Sachse Richthoffen, nun ein reifer Mann, wird offenbar das Opfer einer Besäufnis im Gefängnis und taucht erst im Finale wieder desorientiert auf. Alles in dieser bemühten Aufführung ist gut gestellt, alles läuft „wie’s im Büchel steht“, aber ziemlich ironiefrei und manchmal mit müden Scherzen ab. Der Wortwitz des Librettos zündet freilich noch immer und sorgt für viele Lacher im Publikum. Die bunten, historischen Kostüme erinnern an alte Zeiten im Salzburger Landestheater – kein Wunder, sie stammen auch von dort. Die praktikablen Bühnenbilder von Christina Sadjina-Höfer sind Tourneetheater-tauglich und vermitteln recht viel Atmosphäre. Monica Fotescu-Uta hat mit einer Dortmunder Gruppe professionelle Mazurka-Phantasien einstudiert.
Der Applaus nach den Musiknummern klang eher matt, was nicht an den Leistungen liegt, sondern an der Tatsache, dass leichte lyrische Stimmen im Riesenhaus schon in der sechsten Reihe Parkett oft nur mehr wie aus der Ferne hörbar sind. Immerhin hat Katalin Doman am Pult das richtige Gespür für das Idiom und holt aus dem wackeren Orchester wohl das Optimum an Nuancierung heraus. Der bulgarische Bassbariton Russi Nikoff ist ein gestandener Oberst Ollendorf mit profunder Stimme, der den dümmlichen Haudegen und Möchtegern-Frauenhelden nicht übertreibt. Wer echte Basstiefen vermisst, der sei damit getröstet, dass die Partie im Original für einen Tenor geschrieben ist.
Die beiden Tenöre dieses Abends gaben ihr Bestes. Christian Bauer ist vom Lehár Festival in Bad Ischl im Buffofach und als Jan in Erinnerung und gehört mit seiner schlanken Stimme auch eher dorthin, schafft den Symon Rymanovicz aber mit schönen lyrischen Momenten, glanzlosen Höhen und sympathisch burschikoser Erscheinung. Sein in Wahrheit gräflicher Bettelstudent-Kumpan Jan ist Stefan Reichmann, jungenhaft, idealistisch und vokal entwicklungsfähig. Claudia Guarin als Laura und Victoria Car als Bronislawa sind frisch artikulierende und agierende Soprane, die man jedem Stadttheater empfehlen kann. Als beider Mama Palmatica führt Christine Kubelka couragiert die Reste ihres Mezzos vor – ist sie doch schon 1981 in einer kleinen Rolle in der Festspiel-Uraufführung von Cerhas „Baal“ auf dieser Bühne gestanden. Brigitte Wegenberger als echte Heldenschwester und falscher Offizier macht gute Figur, Rollie Braun als sächselnder Kerkermeister Enterich skurrile. Der Rest fügt sich, wie man so sagt. Der effektvolle Auftritt der Sträflinge im zweiten Finale bleibt wegen Personalmangels auf deren Wärter beschränkt, befinden sich die Sträflinge und deren Frauen doch nun als feine Hochzeitgesellschaft ohnehin schon auf der Bühne. Das ist Tourneetheater und hat auch seinen eigenen Charme. Noch ist Polen nicht verloren und der Schlussapplaus ist anerkennend.