Bürohengste und ihre Tippmamsells
LANDESTHEATER / DER LIEBESTRANK
06/12/10 Bei Weihnachtsfeiern soll ja schon manche Büro-Balz angegangen sein. Gerade jetzt sollte die Inszenierung von Donizettis Buffo-Oper "Der Lierbestrank" im Salzburger Landestheater bei vielen Besucherinnen und Besuchern einen gewissen Wiedererkennungseffekt auslösen.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Timing passt also in Nina Kühners Inszenierung. Die Laptops auf den Schreibtischen zeigen uns an, dass es wohl ein ganz heutiges Arbeits-Etablissement ist, dieses Großraumbüro. An einer Seite residiert Adina als Chefin in einem gläsernen Kobel. Was genau gearbeitet wird, erfahren wir nicht, denn: In den zweieinhalb hurtigen Stunden zu Donizettis Musik steht der Kernbetrieb und alle widmen ihre Aufmerksamkeit auf den Flirt Nemorinos (ist er Buchhalter?) mit der Chefin. Die hält es vorerst aber, wie wir wissen, eher mit Belcore.
Vielleicht sollten wir die Laptops aber doch nicht so ernst nehmen, denn die artigen Kleidchen der Bürodamen (Kostüme: Claudia Caséra) deuten doch eher auf die sechziger oder siebziger Jahre hin. Damals ist es ja angeblich lockerer zugegangen im Berufsleben als heutzutage.
Aber ehrlich: Es ist ja völlig wurst, in welcher Kulisse (Bühnenbild: Hanna Zimmermann) die Folge von Gassenhauern des Belcanto abläuft. Diesmal also nicht im bäuerlichen Umfeld, und der Konkurrent des armen Nemorino ist auch nicht strammer Militarist, sondern Wortfführer einer Herren-Delegation von einer Partnerfirma. Halten wir uns nicht zu sehr damit auf.
Die Musik schnurrt nicht, sondern sie wird von Leo Hussain und dem ihm mit gespannter Aufmerksamkeit folgenden Mozarteum Orchester liebevollst kammermusikalisch aufgedröselt. Kein leeres Hm-ta-ta-ta in der Begleitung, sondern immer ein rhythmisch präzises, elastisches Federn. Die (ruhigen) Tempi werden reichhaltig differenziert, sehr zum Vorteil des gesungenen Worts: Da darf wirklich jeder Melodiebogen auch rhetorische Argumentation sein. Belcanto mithin in seiner sprechendsten Ausformung.
Eigentlich gibt es ja zwei Premieren des "Liebestrank" - die erste Garnitur war am Sonntag (5.12.) an der Reihe. Simona Mihai (Adina) und Pavel Kolgatin (Nemorino) sind im flockigen Orchester-Umfeld bestens aufgehoben, unforciert können sie ihre Stimmen aufblühen lassen und es bleibt genug Zeit für sorgsam erarbeitete Verzierungen. Mit der nötigen Vehemenz argumentiert Nemorinos erst sehr erfolgreicher Nebenbuhler Belcore (Simon Schnorr). Laura Nicorescu ist die zarte Giannetta, die eigentlich auch einen Seitenblick der männlichen Büro-Belegschaft wert sein sollte.
Es ist kein Wunder, dass Nemorino den Angeboten des Doktor Dulcamara alias Hubert Wild (der Liebestrank ist natürlich nur ein gewöhnlicher Rotwein) erliegt. Das hat mit seinem Singen zu tun, aber auch damit, dass er mit zwei langbeinigen Assistentinnen hereinplatzt in den Büro-Alltag und die ganze Belegschaft augenblicklich auf die Verführungen von Esoterik und New Wave hereinfällt. Dulcamara hat nicht nur Tränkchen bereit, sondern auch Gymnastik für Bürohengste und ihre Tippmamsells. Augenblicklich üben sich alle in Yoga.
Der Chor huldigt an dem Abend ausgiebig der Fitness, singt aber auch sehr respektabel - es ist ja eine Oper, die viele Wortmeldungen vom Volk verlangt, und die kommen üpräzis und nicht minder durchhörbar wie die Beiträge des Orchesters (Choreinstudierung: Stefan Müller). Nebenher passiert allerhand Witziges in der Firmen-Belegschaft.
Unbeschwerte Stunden mit Donizetti, in einer Inszenierung, die viele gute Ideen bereit hält, aber letztlich doch nicht zwingend verrät, wozu man die Handlung von hinnen nach dannen, vom Dorf ins Büro übertragen hat.