Diktatoren danken selten ab

LANDESTHEATER / LUCIO SILLA

22/01/24 Mehr als drei Stunden vergehen wie im Flug. Lucio Silla, vernünftig gekürzt, packend inszeniert und mit Herzblut musiziert, wurde im Salzburger Landestheater zum großen Erfolg. Das für Mailand komponierte Dramma per musica des sechzehnjährigen Wolfgang Amadé Mozart beweist in dieser Produktion zeitlose Größe.

Von Gottfried Franz Kasparek

Der in diesen formelhaften Seria-Opern immer drohenden Ermüdung durch endlose, aufeinander folgende Da Capo-Arien hat ein kluger Streichstift entgegen gewirkt. Interessant, dass zwei kurze orchestrale Einlagen zu Beginn des zweiten und dritten Aktes ganz wunderbar dazu passen. Der Titelheld darf sozusagen stumm zeigen, dass sogar ein grausamer Diktator Gefühle hat, wenn auch sehr selbstbezogene. Die Noten entstammen der g-Moll Sinfonie op. 6 Nr. 6 jenes Johann Christian Bach, der ein wesentlicher Lehrer des Knaben Mozart war (und übrigens auch, nach Mozart, einen Lucio Silla komponiert hat). Diese edle frühklassische Musik gibt dem dramatischen Geschehen Momente meditativer Besinnung.

Im Zentrum bleibt natürlich die in jedem Takt aufregende, erstaunlich reife, die Emotionen der Figuren mit wahrer Theaterpranke zeichnende und handwerklich schon meisterliche Musik eines jungen Mannes, der ein paar Jahre später Schluss machen wird mit der alten Oper. Die neue erscheint in manchen spannungsgeladenen Szenen der altrömischen Liebes- und Intrigengeschichte bereits deutlich am Horizont.

Maestro Carlo Benedetto Cimento bringt all die frischen Farben und theatralischen Effekte der Partitur mit dem phänomenal mitatmenden, kraftvoll klangrednerischen, dabei ohne jegliche Trockenheit klangsinnlich musizierenden Mozarteumorchester zum Ausdruck, schafft auch einen großen dramatischen Bogen und ist ein perfekter Begleiter der Menschen auf der Bühne.

Regisseurin Amélie Niermeyer hat ein Meisterstück geliefert. Die Verpflanzung des am Ende sich zur Milde durchringenden Tyrannen Sulla aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert in unsere Gegenwart funktioniert blendend. Es ist eine Hightech-Diktatur, in der sich der Geheimdienst via Gesichtserkennung intensiv der Beobachtung der mitunter mutig demonstrierenden Bürgerinnen und Bürger widmet, die Demokratie massiv unterdrückt wird, der Senat ein Club aus Jasagern geworden ist. Da findet der Videodesigner Janosch Abel ein klar begrenztes, atmosphärisches, Gänsehaut erzeugendes Betätigungsfeld, stets im Einklang mit den Betonpalästen, die Stefanie Seitz auf die Drehbühne gewuchtet hat, sowie mit den konzisen, stimmigen Kostümen von Kathrin Brandstätter. Vor allem wird das analoge Spiel nie durch die laufenden Bilder erdrückt, sondern bloß sinnfällig ergänzt.

Amélie Niermeyer ist eine Meisterin der Personenführung, sie animiert die jungen Mitwirkenden und auch den Chor zu intensiver Darstellung. An das gute Ende nach Seria-Konvention und in diesem Fall auch historischen Tatsachen glaubt sie freilich nicht. Am Ende liegt das begnadigte Paar wie leblos vor einem Gitter, hinter dem die Aufständischen eingesperrt sind – und der nur taktisch abgedankte Tyrann bekommt seinen Lorbeerkranz zurück aufs Haupt. Dies mag zunächst befremden, doch hört man sich Mozarts Finale genau an, dann erkennt man, wie auch hier die Stimmung in lapidarer Festlichkeit einfriert. Haben der Komponist und der tüchtige Librettist Giovanni de Gamerra auch nicht so ganz an das „lieto fine“ geglaubt?

Luke Sinclair mit seinem stämmigen, doch auch lyrisch ansprechenden Tenor spielt einen feschen jungen Gewaltherrscher, der Gefährlichkeit mit Charisma verbindet. Und ein wenig leidet unter seiner unerwiderten Liebe zur Tochter des getöteten Konkurrenten. Diese Giunia, ein rot gewandeter Racheengel, wird von der fulminanten russischen Sopranistin Nina Solodovnikova mit die Bühne beherrschender Spielbegabung dargestellt, dazu mit echtem stimmlichen, energisch leuchtendem Feuer samt feinen Piani und jenem gewissen Etwas, das echte Primadonnen auszeichnet.

Ihr Geliebter Cecilio ist dagegen ein gerader Kerl von revolutionärem Jüngling, frank und frei von Katie Coventry mit klarem Sopran gesungen, aber derart weiblich wirkend, dass man Sehnsucht nach wenigstens ein paar androgynen oder „queeren“ Zügen bekommt. Man könnte sie in Cecilia umbenennen ... die Sexualität war ja in der Antike meist recht frei. Was allerdings dem die Geschlechter exakt definierenden Text widerspräche.

Der um Versöhnung kämpfende Lucio Cinna darf seinen Freund Cecilio einmal wirkungsvoll zur Vernunft ohrfeigen und ist auch sonst ein goldiger Junge, liebevoll gespielt und gesungen von koloraturensicheren italienischen Countertenor Nicolò Balducci. Anita Giovanna Rosati, aus Osttirol stammend, ist als Sillas Schwester Celia optisch sowas wie „blondes Gift“, doch eine um Frieden bemühte junge Frau mit schönem, hellem Sopran. Joseph Doody, neben Luke Sinclair und Katie Coventry offenbar der dritte Schotte auf der Bühne, als seinem Herrn sklavisch ergebener Geheimdienstchef Aufidio zieht eiskalt die Fäden des Verhängnisses und lässt mit elegantem Charaktertenor aufhorchen. - Der Jubel am Ende war ehrlich und groß!

Aufführungen bis 13. Juni – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christian Krautzberger