Nasser und schmissiger geht’s nicht
LANDESTHEATER / SINGIN' IN THE RAIN
04/12/23 Ob Hauptrolle oder Teil der Chorus Line, alle singen, spielen und tanzen mit Kraft und Leidenschaft. Axel Meinhardt legt auf dem Schreibtisch einen Stepptanz auf Händen hin. Der Tenor Alexander Hüttner ist extra für Beautiful Girl engagiert. Das Haus hat sich mit dieser Produktion, die auch am Broadway Ehre einfahren würde, selbst übertroffen.
Von Erhard Petzel
Singin’ In The Rain ist durchaus wörtlich zu verstehen: Für die verschiedenen Umsetzungen der Nummer wird die Bühne jedes Mal platschnass. Das bekannteste Stück ist wohl Ausgangspunkt zur Entwicklung des Musicals. Der eigentlich Hit ist aber das gleichnamige Gesamtwerk mit Schwung und schnellen Wechseln. Mit akrobatischer Vaudeville-Komik (zum Schreien die Sprecherziehungs-Szenen) – und mit unglaublich guten musikalischen Leistungen.
Kein Aufwand wird gescheut. Die eingebauten Filme (Andreas Ivancsics) sind äußerst vergnüglich und haben Salzburg, vor allem Mirabell und Theater-Umgebung, zur Kulisse. Die Bühne von Charles Quiggin zeichnet sich durch ihre Funktionalität bei optimaler Wirksamkeit aus. Aleš Valášeks Kostüme fügen sich in ihrer Pracht und Extravaganz herausstechend geschmackvoll in den dargestellten Zeitraum. Alles in allem: Ein Theaterabend als Sternstunde im Advent. In der Inszenierung von Simon Eichenberger wird nicht nur ständig gesteppt. Es werden mit beeindruckender Kondition über drei Stunden körperliche Höchstleistung erbracht. Mit einem Maximum an Leichtigkeit wird ein Maximum an Perfektion erreicht.
Am Ende ein tobendes Haus, ein Publikum, das eine Schlussrunde nach der anderen einfordert. Dabe ist das Ganze nicht ganz neu: Es handelt sich um die Bühnenfassung eines Film-Musicals von 1952 über die Themen des kulturellen Umbruchs in den 1920er Jahren und der Entwicklung des Tonfilms. Ein wenig Geschichte muss jetzt sein: The Jazz-Singer mit Al Jolson aus dem Jahr 1927 ist der erste Tonfilm in Spielfilmqualität überhaupt. Dieser Film ist auch im Musical – als Geschichte eines Filmstudios – der Anstoß für eine massive Veränderung, die Auswirkungen auf viele Karrieren hat.
Es geht um Freundschaft, Liebe und Intrige am Film-Set im Setting einer großen Revue. Eine kulturelle und sozialpolitische Auseinandersetzung ist „mitgemeint“ findet aber nicht wirklich statt. Die Holzschnitt-Artigkeit der Stummfilm-Schauspielerei hebt sich zwar von der Handlungsebene des Rahmens ab, aber auch der ist ähnlich stereotyp. Was bleibt ist beschwingte Leichtigkeit. Don Lockwood und Lina Lamont sind das Leinwandpaar im Stummfilm. Aber dessen Ära geht zu Ende. Lina hat nicht die Stimme fürs neue Genre. Wogegen Don nun die Stunde für sich schlagen hört. Die junge Schauspielerin Kathy Selden ist eine ausgesprochen talentierte Sprecherin und Sängerin. Eine erkaltete Liebe und eine neu aufflammende...
Was kann uns diese hinlänglich bekannte Schmonzette heute noch vermitteln? Die Stereotype im Buch von Betty Comden und Adolph Green schrammen heutzutage an der Schmerzgrenze entlang, was bei aktuelleren Musicals vielleicht etwas anders, aber nicht unbedingt besser ist.
Was an Singin’ In The Rain überwältigt, ist die handwerkliche Qualität. Allem voran die raffinierte Musik von Nacio Herb Brown (1896–1964) und Arthur Freed (1894–1973). Ein Gutteil der Nummern stammt tatsächlich aus der Zeit, in der das Musical spielt. Vom Mozarteumorchester unter der Leitung von Tobias Meichsner, dem neuen Zweiten Kapellmeister am Landestheater, werden sie beglückend verwirklicht. Die Musiknummern werden in englischer Originalsprache gesungen. Mit dabei als Stummfilm-Pianist Manuel Lauerer. Und dann ein hervorragendes Ensemble auf allen Ebenen, das auf Teufel komm raus hinreißend singt und tanzt (Choreografie Dominique Brooks-Daw). Das beginnt mit den steppenden Kinderdarstellern von Klein-Don (Lennyn Therrien) und Klein-Cosmo (Kiano Therrien) und endet bei ihren erwachsenen Pendants.
Don Lockwood (Ramesh Nair) und Cosmo Brown (Niklas Schurz) sind von klein auf Freunde aus der Vaudeville-Szene. Don ist ein Star, Cosmo kann sich erst über die Neuerungen zum Tonfilm so richtig etablieren. Beide Darsteller sind unglaublich präsent in Bewegung und Stimme, ausdrucksstark, komisch und absolut hinreißend.
Der Gegensatz, zwischen Stumm- und Tonfilmzeit wird an den Frauenfiguren manifest. Hier das stimmliche Reibeisen Lina Lamont (Niniane Everaert), ein zickiger Stummfilm-Star. Da Kathy Selden (Julia-Elena Heinrich), die dabei ist, sich im neuen Genre emporzuarbeiten und in Don die große Liebe finden wird. Sie synchronisiert im neuen Mantel- und Degen-Tonfilm mit ihrer perfekten Stimme den Star Lina. Wenn Everaert auch ihre Stimme dauerhaft verstellen und das Biest verkörpern muss, ihre Gesangsnummer What’s Wrong With Me erntet für diese Glanzleistung an kontrollierter Verzerrung besonderen Applaus.
Singin’ In The Rain – Aufführungen bis 5. Mai 2024 – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall